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Lyriken der verpassten Revolution Texte

Nafaka

„All that she wants, is to fly away and,
she’s gone tomorrow /
All that she wants…“

…Ist aus dieser Stadt zu kommen
Und trotzdem aus dieser Stadt zu kommen.
Doch der Yugo, in dem sie vor sich hinsingt, ist kaputt
Auf den Straßen Sarajevos liegen Berge von Schutt
Und ihre Mama hat gesagt: „Azra, geh nicht aus dem Keller
Wenn die Sniper draußen schießen“, doch die Tage werden heller
Und wenn man mit 7 im Sommer nicht spielen kann, dass man ans Meer fährt
Sag was ist dann mehr wert?
Dass man sich gegen’s Heer wehrt?

Die Einschusslöcher an den Häuserwänden bilden runde Narben
Und im Fluss liegen Leichen, doch das darf ihr keiner sagen
Und Azra heißt Jungfrau, auch wenn sie’s nicht mehr ist, doch davon spricht man nicht
Aus dem Keller dieses Hochhaus‘ sieht man nachts die Lichter nicht
Letzte Nacht sind zwei der netten Nachbarn neben ihr verschwunden
Geflohen in das Leben oder verreckt an ihren Wunden
„Wenn ich groß bin, will ich klein sein“, denkt Azra –
So klein, dass sie niemand sieht, wenn sie flieht
Aber Papa sagt:

„Wer flüchtet, überlässt das Land den Dummen,
und die spielen dann mit Wummen
Und machen Jugos kaputt statt in kaputten Jugos zu spielen
Wir sind vier unter Vielen, und die lässt man nicht im Stich
Mögen nach Deutschland Gefloh’ne auch lästern unter’m Strich:
Wir sind das Orchester, das im zerstörten Parkhaus weitergeigt
Wir bleiben hier, damit nach all dem wer dem Land die Zukunft zeigt“

Aber Azra war noch nie in nem Orchester
Und in der Schule war ihr Bruder manchmal Bester, aber sie, die Schwester,
Hat das Zeugnis schon zerissen, wird die Schule nicht vermissen
Mit beflissenem Gewissen beinah ausgerissen,
Aber gar nichts von der Zukunft wissen ist gewiss beschissen…
Du kriegst das schon gerissen…

Novi Dan, Nova Nafaka
neuer Tag, neues Glück
Es ist finster und du kannst nicht zurück
Doch im Osten steigt die Sonne und schon ist n neuer Tag da,
Kopf hoch, draga Azra,
Novi Dan, Nova Nafaka.

Die Schussnarben an den Wänden grienen Azra jeden Morgen an
Ein neuer Tag bricht an, an dem sie sich um andre Dinge sorgen kann
Azra ist 30, fleißig, Mutter von zwei Kindern doch es reicht nicht
Roma sein und Arbeit haben beißt sich
Und sie weiß nicht
Wer gibt schon ner Roma ohne Ausbildung ein Einkommen?
Wie soll sie aus 40 % Arbeitslosen irgendwo hereinkommen?
Und so sehr sie’s auch versucht, kann sie doch kein‘ Job auftreiben
Werkbänke und Fabriken werden halt in China bleiben
Aber Deutschland, ach Deutschland,
Was würd sie geben, dort zu leben


Der volle Text wird ab Herbst 2017 in meinem Gedichtband “Märchen aus einer grausamen Welt” (Periplaneta) zu lesen sein!

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