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Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Brückentanz

Lucí tanzt über Brücken,
so als gäbe es den Regen nicht Weil von jenseits ihrer Zehen
Licht von unterhalb der Wege bricht Wo ihre Haut Asphalt berührt,
wächst Persischer Ehrenpreis
Und wenn ihr Blick gen Ferne schweift,
gibt er dir keine Schwere preis
Sie hat das Glück gefressen, Welt vergessen,
tanzt die Angst in ihren Schatten
Und sich selbst von dannen Foxtrott mit den Rotwildhunden,
Rumba mit den Ratten
Und Lucí, die steht in Flammen

Doch lasst mich von vorn erzählen
Von den Schritten, die wir ganz wählen
Zwischen Stolpersteinen und Tanzsälen
Die sie selbst euch nicht beschreibt,
denn sie bleibt verschwiegen
Sie hätte so viel zu erzählen, doch sie schweigt immer
Ich hingegen leb mein Leben hinter Schreibmaschinen
Aber Lucí lebt ja nicht in meinem Schreibzimmer
Doch wenn ich mal nichts zu tun hab
Und das Schreiben manchmal satt
Schau ich zeitverloren schweifend aus dem Fenster meiner Stadt

Mancher nennt es spannen, andre spannend hierzulande
Was vom vierten noch verzierten Stock dort unten gassiert
Wenn mein Vogelblick von oben blickt, was unten passiert
Flieg ich die Giebel entlang,
bis ich entschließe, hier zu landen:

Grad am Kanal, denn der Grat dort ist schmal
Zwischen Fliegen lernen und Fallen
hast du gar keine Wahl
Da wo’s Joint heißt statt Chefetage, wenn ihr hoch seid
Wo der Wedding nur ein Stadtbezirk ist,
selbst zur Hoch-Zeit
Man zieht sich einfach warm statt einen Ring an
Hier ist die Peripherie.
Jenseits der Ringbahn
Dort sitzt Lucí in der Luft, schlaff und leicht fertig,
über jener Brücke
Haftet an der Hölle, die so recht nur unsere Welt schafft
Die Füße baumeln leichtfertig über dieser Lücke
Und darunter fließt die Frage
Was geschieht nur dieser Tage
Die sie selbst nur vage in der Lage wäre zu beschreiben
Als hätte sie die Wahl, einfach hier sitzen zu bleiben
Einen Grund gibt’s immer.
Wie beim Fluss zu ihren Füßen
Was immer sie auch tat, sie wird es büßen
Sie sitzt dort: Auf der Brücke zwischen Hölle und Sein
– auf beiden Seiten wäre sie allein
Sie hat viel verloren, längst ist ihre Jugend schon vergoren
Die Augen werden dumpf wie das Fiepsen in den Ohren
Aus ihrer Sicht war alles, was geschah, nur hart gemein
Und nun lebt sie in den Park hinein
Doch nicht jedes Leben im Zelt ist wie Urlaub
Ihr Lebensweg war selten Pflasterstein
und meistens nur Staub
Dafür steil und irgendwie zu krumm
Alle Wege führten irgendwann zum Rum

Ich schwebe neben diesem Wesen
Kann die Wege nicht verstehen Ich bin ein aufmerksames Blatt
von einem jungen Trieb am Baum
Und ihr Herbst ist nur mein rotbrauner Traum
Der zu Altlaub stirbt
Ist mir unversehens schon geschehen
Den Gedanken schon gesehen
Dass die Münze, die wir lehnen, zu Metallstaub wird …


Der volle Text findet sich in meinem Gedichtband “Märchen aus einer grausamen Welt” (Periplaneta)!