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Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Winter in Berlin

Die Luft in dein’m Kiez trägt n sauren Duft
Weil du bei -3° noch nach draußen musst
Der Atem verdunstet am Brillenglase
Dir zittern die Finger und läuft schon die Nase
Und es läuft und du läufst durch die nasskalte Straße
… es ist doch nur ne Phase…
Es ist niemals so kalt, dass der Schnee sie verziert
Trotzdem Eis am Asphalt dass der Boden gefriert
Ziehst die Mütze hinab und den Schal etwas enger
Der Winter geht heut wieder länger.

Berlin zu lieben im Sommer ist leicht
Wer die Stadt wirklich liebt, ja der bleibt

  • wenn es dunkel wird
  • wenn du unten bist
  • wenn die Hälfte der Stadt längst im Urlaub verschwunden ist

Und du atmest die Sonne von 11 bis um 3
Und du siehst nur das Tag-grau hast du einmal frei
Und du trinkst und du trauerst den Parks hinterher
Denkst von Montag bis März machst du grad gar nichts mehr…

Der Boden ist glatt und es wär leicht hinzufallen
Aber irgendwie hältst du dich noch auf den Beinen…
Noch n Monat
Und noch n Monat
Und noch n Monat
Und dann ist grade erst November.
Willkommen in Berlin.

Wenn ich nicht weiß, wohin, wohin
Bist du mein Winter in Berlin…
Ich hab dir alles schon verziehn
Du bist mein Winter in Berlin….

Denn als ich dir versprach ob in schlechten oder lieben Zeiten
Da wusst’ ich diesen Winter werd’ ich wieder bleiben
Lass uns einfach den Dezember über Lieder schreiben.
Und dann den ganzen Rest des Winters einfach liegen bleiben
Winterschlaf
Inschalla
Liebe in Berlin wir bleiben immer da
Und auch wenn wir schon seit gestern nicht mehr draußen war‘n
Temp’raturen sind zwar kalt doch deine Haut ist warm
Wir lesen 20 Bücher in nur 13 Tagen
Währ’nd wir in 5 Decken gekuschelt an der Heizung lagen
Ich vermisste diese Zeit, wenn ich sie nicht mehr hätte
Auf dem Herd heißer Kakao, im Herz ne Lichterkette

Warmes Leuchten vom Café, menschen-freundliche Chaussee
Ach Berlin, du gibst dir Mühe, denn seit heut liegt sogar Schnee.
Nachts gefriert der See und es trägt sogar mein Gewicht
Dein Atem zeichnet Wolken in die Luft um dein Gesicht
– Wintermärchenzauber es ist wie in nem Gedicht
Wenn die Abendsonne sich in diesen Eiskristallen bricht
Ob du’s glaubst oder nicht
Ja ich brauche nur dich
Bist mein Winter in Berlin, dann ist das auch kein Verzicht.

Wenn ich nicht weiß, wohin, wohin
Bist du mein Winter in Berlin…
Ich hab dir alles schon verziehn
Du bist mein Winter in Berlin….

Und wenn die Welt da draußen, im Schnee versinkt
Spüren wir doch erst, dass wir am Leben sind
Und wenn die Welt da draußen, im Winter schlaf ist
Bleibst du mir der Grund warum mir immer warm ist.

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Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Die Tage der Tiefsee

Niemand hatte mich hierauf vorbereitet.
Niemand mich hineinbegleitet
Niemand hat davon gesprochen
Und doch ist es hereingebrochen.
Über mich.
Und ich?
Ich wusste doch nichts von dieser Tiefsee.
Diese krassen nassen Wellen, die ich jenseits meines Alltags nie seh
Das passiert ja nicht mir
Nicht jetzt und nicht hier
Ich wusste das alles doch nicht.
Verwundert nicht, wenn mans runter bricht:
Dass man es mir bis dato nicht mal angesehen hat
Als ich an jenem Sonntagnachmittag in meinem Stammcafé saß,
Da ahnte ich nichts. Wie auch.
Ich aß ne Kleinigkeit-und
Las einfach ne Zeitung
Und es war ne lange Leitung
Bis der Anruf zu mir kam
Die Nachricht klar benannt
Du warst nicht mehr.

Es flackerten die Lichter, ich muss mich halten,
irgendwo
Mein Gleichgewicht:
nirgendwo
Ich hörte dumpfes Brodeln, ein gurgelndes Drohen
Ich wär so gern geflohen
Doch meine Beine war’n erstarrt
Als plötzlich das Schaufensterglas zerbarst.
Die Wasserfluten dieser Tiefsee brachen über mich zusammen
Das Café versank im Strudel in dem Kaffeetassen schwammen
Es war ein lärmendes Rauschen
Alle Stühle mitgerissen
Es war schwarzes, tiefes Wasser ohne menschliches Gewissen
Es war’n tausend Kilo Druck. Mörderisch und kalt.
Etwas schlug mir an den Kopf, verlor den körperlichen Halt
Die salztriefende Tiefsee hinterlässt mir eine krustige Zunge
Mein Blick so erstarrt
Keine Luft in der Lunge
Seit heute warst du fort. Und ich tauchte hinab
Ich konnte nichts mehr seh’n, hab es kaum mehr geschafft.

Lots mich durch die Tiefsee
Bitte nimm mich an die Hand
Ich find allein den Weg nicht
und ich komm nicht mehr an Land
Und manchmal braucht es nur ein Wort
Und manchmal tausend Stunden
Bitte lass mich nicht zurück
Ich hab mich selbst noch nicht gefunden

Die Tage des Sturms


Als ich erwachte aus dem Taumel, war der Raum um mich noch nass
Ein Gurgeln aus dem Abfluss, meine Hände waren blass
Doch ich war wach.
Klamme Kleidung am Körper, knackende Knochen
Bis ich wieder mit wem reden konnte, dauert es Wochen
Ich sah nur noch durch den blauen Dunst
Und als ich heimkam, waren Algen überall
Brackpfützen im Treppenhaus, ein kleiner Wasserfall
Es tropfte, schlammig, tote und japsende Fische
Meine Zehen zittern zaghaft von der eiskalten Frische
Deine Sintflut hat mein Leben jetzt verändert.
Nasser Sand auf dem Parkett, und die Tapete nass-gerändert
Und es gab so viel aufzuräumen.
Und so viel zu kümmern.
Aber alles war so anders
Meine Welt lag doch in Trümmern
Und ich lebte unter Wasser, und ich fühlte mich allein
Die Wochen ging’n vorbei ich konnt der Welt nicht mehr verzeihn
Ich atmete und schwamm
Man tut halt, was man eben kann
Doch eines Tages: Konnte ich nicht mehr.

Ich stand an einem Bahngleis, irgendwohin
Für irgendeinen Scheiß, als hätt es irgendein Sinn
Alles war noch immer so nass; von den Tagen der Tiefsee
Geflutete Stufen so krass, das Wasser am Kragen und ich rief (eh)
Im Hass, gegen all diese Algen und das Salz und das Meer
Gott wie ich es hasste!, ich war kalt und so leer
Und ich spürte jetzt den Sturm in meinen Händen
Er toste durch die Haare fremder Menschen, von dem Gleis zu den Wänden
Zu den Enden dieser Stadt, die einfach weiterlebt
Weitergeht,
Als wärst du noch hier.

Ein Orkan meiner Wut wehte Dreck über die Gleise
Riss die Bänke vom Beton in wahrhaft schrecklicher Weise
Griff der Tornado in die Schienen, bis Metall zum Kreischen brachte
Warf die Züge in die Wolkenkratzer, dass es weithin krachte
Es war Sturm
Da sollte nichts mehr sein: Kein Wasser, kein Fisch, kein Gefühl
Nur mein Hass, weil ich nichts mehr fühl!
Und ich hoffte dieser Sturm würd alles fortwehen
Denn ich wusste, ohne dich will ich nicht weitergehen.



Lots mich durch den Sturm
Bitte nimm mich an die Hand
Ich find allein den Weg nicht 
und ich weiß nicht mehr wo lang
Und manchmal braucht es einen Notruf
Und manchmal tausend Stunden
Bitte lass mich nicht allein
Ich hab mich selbst noch nicht gefunden

Die Tage der Wüste

Als ich nach den Tagen des Sturms wieder heimkam, irgendwann,
… Kam ich nirgends an
Wüstensand wehte schwer, legt sich mehr über Beton
Staubig und leer, einsam bis zum Horizont
Nur mein Bett stand gemacht in den gräulichen Dünen
Und so deckte ich mich zu und ich träume vom Grünen
Aber der Himmel war leer
Und die Wüste war leer
Ich vermiss nicht das Meer
Doch ich will das nicht mehr
Aber wenn dein Bett einmal im Sand steht
Ist doch klar, dass man kein Land sieht.
Und so begrub die Wanderdüne deiner Leere meine Welt
Bis ich irgendwann nur dachte, dass mich nichts mehr auf ihr hält
Ich lag in meinem trockenen Bett, die Sonne dörrt meine Haut
Für diese Tage der Wüste, hat man nie Wörter gebraucht
Denn ich sprach nicht
Empfand nichts
Sah nichts
Im Sand-Licht
Die Stadt war verschwunden, seit du einfach so gingst
Und ich wusste nicht was mich noch von hier fortbringt.

Lots mich aus der Wüste
Bitte nimm mich an die Hand
Ich find allein den Weg nicht
Zwischen all dem leeren Sand
Und manchmal braucht es nur ein Wort
Und manchmal tausend Stunden
Bitte lass mich nicht allein
Ich hab mich selbst noch nicht gefunden

Die Tage der Bäume

Aber eines Tages werde ich einen Samen setzen.
Dort, neben meinem Bett im Sand.
Die Erinnerung an dich, hält mir dabei die Hand
Während der Baum langsam wächst. In der wüstenklaren Nacht.
Und es wird furchtbar lange dauern, bis er Blütenfarben hat
Aber irgendwann steht da ein Baum.
Irgendwann schafft er mir Raum.
Und irgendwann werde ich ohne dich die Welt wieder erbau’n
Und das Café von jenem Sonntagnachmittag wird nicht das Gleiche sein.
Mein Zimmer nebenan: Nein, es wird nicht das Gleiche sein.
Aber irgendwann wird hier ein Wald stehen.
Um den ersten einsamen Sproß
Kein unberührter Urwald aus den Tiefseetagenträumen:
Nein. Ein nachgepflanzter, junger Forst, mit grünen, zarten Bäumen
Zwischen den Häusern meiner Stadt
Die sich erhebt, von ihren Ranken umringt
Und in den Zweigen ihrer Kronen hört man sanft nun den Wind
Und in dem Grund eine Wurzel die am Rand der Tiefsee fischt
Und der Beton dieser Straßen ist aus Wüstensand gemischt.
Und du bist immer da.
Und du bist immernoch fort.
Hab dein Foto in der Tasche an nem herzensnahen Ort
Und ich halt mich an dem Baum fest, der die Welt mir verbessert

Und in mein’m Auge eine Träne
Die ihn wässert.

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Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Elektro-U-Bahn-Späti-Duft


Jeder Bezirk dieser Stadt hat seinen eigenen Duft
Lauf ich durch meinen Kiez, klebt Shisha in der Luft
Backshops und Späti, Gras am Kanal
Am Leopoldplatz atme ich grad nicht nasal
U-Bahn voller länger nicht gewaschener Passanten
Die trotz 3-Minuten-Rhythmus noch durch Bahntüren rannten
Raucherkneipen, Knoblauchpizza, Hundestraßenkot
Alte Damen mit Parfüm vom Sonder-Angebot
Kottbusser Tor, Kreuzburger, Falafel
Hipsterkaffee und Club Mate auf Shuffle
Müggelseelaubwald und Stadtautobahn
Die BSR hat sich im Mülltag vertan

Oh ja, Stadtluft macht frei, und so sehr du auch müffelst
Kriegst du trotzdem nicht mehr als den üblichen Rüffel
Schlimmstenfalls hast du dein U-Bahn-Abteil dann allein
Denn gemeine Berliner sind ja eh schon gemein
Doch hat‘s eigentlich niemand je wirklich übel gemeint
Der Verein dieser Stadt fühlt sich halt darin vereint
Um im Lärm der Motoren irgendetwas zu hören
Muss man eben rumoren und motzen und stören

Und kommt das E-Auto letztlich als Straßengefährt
Dreht den Bass lauter auf, damit man euch bemerkt!
Ja, an Lautlosigkeit ist hier niemand gewöhnt
Denn alles hier wummert und kreischt oder dröhnt
Tegel über’m Kopf, Hand hoch, wink dem Piloten
Presslufthammer-Hausbau als harmonische Noten
Immer wenn mein Nachbar Sex hat, dreht er Technosounds laut
Wobei… auch wenn er kocht oder Fernseher schaut
Nie verzichtet er drauf – wenn er trinkt sowieso nicht
Was immer geschieht, am Schluss wird’s elektronisch
Das ist das Credo der Stadt, versichert wie Safe:
Erst kommt die Arbeit, dann kommt der Rave

Groß-Demonstration: am Schluss Elektronisch
Maifest in Kreuzberg: am Schluss Elektronisch
Grillen im Park: am Schluss Elektronisch
Ton-Töpferkurs: am Schluss meistens konisch
Hochzeiten, Partys: am Schluss Elektronisch
Mit Bike schnell zur Arbeit: am Schluss Elektronisch
Schnell shoppen gegangen: ein bisschen ironisch
One-Night-Stand Nächte: am Schluss Elektronisch (zumindest bei meinem Nachbarn)
E-Zigaretten: am Schluss Elektronisch
Geschlossener Kreislauf: am Schluss Elektronisch
Von vorn‘rein Elektro fast jedes Club-Lied
Selbst der Tür-Sound der S-Bahn ist Elektrobeat

Und wenn du jetzt denkst, wie soll sich das lohnen?
Wie kann man bei all dem nur stolz oben thronen?
Wie kann man dem Stress entgehen, sich selber schonen?
Wie kann man in diesem Moloch noch gut wohnen?
Dann lass mich dir sagen:
Du willst hier nicht wohnen.

Hier, wo Partybrüder und Krankenschwestern um fünf Uhr nachts die Bahn besteigen
Wo Dichtende und Dichte neben Clubboxen im Wahn verbleiben
Wo Straßentrinker und Street-Day-Paradisten ganztags ihre Fahne zeigen
Wo Tierschützer und Bauarbeiter schützend lenkend ihren Kran begleiten
Wo jeder letztlich Stammgast ist beim Späti seiner Wahl
Wo Flaschenpfand ne Spende ist, Hausnummern nur ne Zahl
(Wo du nie weißt, ob sie in dieser Straße zickzack sind oder Preußisch-Hufeisen
Muss das Wiederfinden eines Hauses stets Versuch bleiben)

Wo niemand seine Nachbarn kennt, doch jeder seinen Kiez
Wo Feierabend See-Geruch hat und den Klang von Beats
Wo tausend bunter Fäden sich zu einem Strang verweben
Man kann hier gar nicht wohnen.
Man kann hier doch nur leben.

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Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Online-Architektin

Das ist Lea; neun Jahre, braunes Haar und kluger Blick
Schnelle Auffassungsgabe, und quer Lesen ist ihr Trick
Dass die andr’en ständig quatschen, nervt sie, und versteht sie kaum:
Sie könnt‘ stundenlang nur zuhör’n, gibt man ihr nen ruhigen Raum
Sie liest Bücher, wo die Lösungen erst weit hinten versteckt sind’
Sie mag Häuser und Computer – wird mal Online-Architektin

Denn die Schule gibt ihr alles, was das Lernen ihr erleichtert
Auditiv und visuell, wie nicht jeder das vielleicht hat
Ob Mathe, Physik, Deutsch, sie spielt darauf wie Partitur-
Schreibt Jahre später letztlich auch ein 14-Punkte-Abitur
Nur Englisch und Musik sind ihre großen beiden Schwächen
Doch dank Nachhilfe und Internet kann sie auch die noch brechen
Stipendium fürs Studium, sie weiß ja, wie das geht
Hörsaal so wie Klassenzimmer, wenn man nur den Prof versteht.
Geschickt und kann gut rechnen, und natürlich auch gescheit
Das ist Lea, zwanzig Jahre, und der Zukunft wohlgeneigt

Drei Kilometer entfernt:

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Weltraum-Tierärzte

Das ist Jonas; neun Jahre, schwarzes Haar und kluger Blick
Wenn er bastelt, merkt man schnell, die kleinen Hände sind geschickt
Leichte Fehlsicht, daher Brille, doch sein Mund kompensiert
Wenn er redet, denkt er schneller, und ist hochkonzentriert
Wenn er sich vermalt, winkt er ab, sagt „am Papier lags“
Mag Eisbär’n und Astronauten, wird mal Weltraum-Tierarzt
Denn zuhause kriegt er alles, was er noch zum Lernen braucht
Ist er neugierig, erklärt man ihm Physik und fernen Brauch
Nachmittag im Zoo, Geburtstag im Planetarium
Jahre später geht er auf das Nachbarstadtgymnasium
War zwar nie der beste Schüler, doch er kann den Stoff kapieren
Ein paar Nachhilfestunden, und es reicht um zu studieren
Geschickt und kann gut reden, und auch ausreichend gescheit
Das ist Jonas, zwanzig Jahre, und der Zukunft wohlgeneigt

Drei Kilometer entfernt:

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Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Brückentanz

Lucí tanzt über Brücken,
so als gäbe es den Regen nicht Weil von jenseits ihrer Zehen
Licht von unterhalb der Wege bricht Wo ihre Haut Asphalt berührt,
wächst Persischer Ehrenpreis
Und wenn ihr Blick gen Ferne schweift,
gibt er dir keine Schwere preis
Sie hat das Glück gefressen, Welt vergessen,
tanzt die Angst in ihren Schatten
Und sich selbst von dannen Foxtrott mit den Rotwildhunden,
Rumba mit den Ratten
Und Lucí, die steht in Flammen

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Fast wahre Großstadtmärchen Ton und Bild

Straßenmusik Video

Ich habe da kürzlich nochmal einen Text hervorgeholt, den ich selbst schon fast vergessen hatte. Aber ich mag ihn immer noch:

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Bahnsteig-Poesie

Langer Tag
in ‘ner Berliner Bibliothek
Tausend Bücher gewälzt, mach mich auf den Heimweg
Eine Stunde kann ich jetzt in diesem Rotz fahr’n:
S-Bahn Linie 7, Richtung Potsdam.
War sechs Stunden hier, ich war nicht nur fleißig
Jetzt ist dunkel draußen, grade Fünf Uhr Dreißig
Scheiß Winter. Derbe kalt, zieh die Mütze tief
Chucks aufgeweicht, weil ich grade durch ne Pfütze lief
Wie sich vor der Kälte schützen ließ? Steig in’ S-Bahn-Schacht
Kracht der Lärm der Stadt hinter mir herab in die Nacht
Es riecht wie immer: Großstadt-Dreck-Urin-Mief
Frag mich wie jedes Mal, was mich nach Berlin rief
Naja, die Bibliothek.
Egal. Ich schlendre zum Gleis
“Linie 7 hat Verspätung”, schon klar ich weiß
Will mich hinsetzen und warten wie sonst jeder
Es täte. Doch da steht ‘n Koffer aus Leder
Die Nähte: vergilbt. Und die Ränder: verwetzt
Den hat jemand offenbar kürzlich hier versetzt
Verlassen. Niemand um mich her, ganz alleine
Ich meine: ein kleines bisschen beunruhigend. Aber fein, ne?
Was soll das schon sein hä?
Ne Bombe auf’m leeren Gleis? Ich hör nicht’s ticken
Ich als Terrorist würd die sowieso eher nach Frankfurt schicken
Wär’s n Geigenkoffer könnte man mein Misstrauen verstehen
Zu viele Mafiafilme gesehen, ich würd sofort wieder gehen
Gleich kommt die S-Bahn, just in case, dass man mich rette.
Doch ich mach ihn auf – und es ist ‘ne Klarinette.

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Stadtmalerei

Es war ein Event in Kreuzberg und ein Meisterabend.
Erholsam nach diesem Tag und auch den Geiste labend
Etwas Kultur und weil man morgen frei hat, Beats –
Jetzt noch ein Bier für den Weg zum Heimatkiez
Heiliger Duft auf der Zunge,
Eisige Luft in der Lunge
Junge schöne Menschen auf’m Nachtspaziergang
Kleine süße Kneipen, die sich sacht verziert ham’
Wenn die Stadt zur Ruhe kommt, kann man sie beinah mögen
Und nicht wie tagsüber denken, allen hier sei nach drögem
Jutetaschen-Einerlei. Denn seit um Acht verliert man
Langsam den Blick fürs Ganze. Berlin wird wieder kreativ
Und selbst der Straßenlärm verschwindet mit dem Tagesmief
Hier hält ein Pärchen die Hand,
Dort lebt von Freuden ein Mädchen
In Kreuzberg hat man sich lieb
Man hat sich wieder erkannt,
und geht mit Freunden zum Lädchen
Links läuft ein Rechter vorbei,
rechts ruft wer “haltet den Dieb!”
Man erinnert sich selbst, wie krass, hab ab und an Acht
Den Dieb zu halten: zu spät. Der Mann läuft zu schnell von dannen
Das Dunkel frisst die Gestalt und er taucht ab in die Nacht
Das Opfer sitzt auf dem Boden, und schiebt Papiere zusammen
Es war ein Becher voll Geld für ihre Straßenmalerei
Man will ihr irgendwie helfen, war ja quasi nah dabei
Kauft ihr ‘ne Pizza und ‘nen Kaffee denn die Nacht ist heute kalt
Für mehr bleibt grad nicht die Zeit, die Heimweg-S-Bahn kommt schon bald
Und dann geht man nach Hause. Gute Tat vollbracht?!
Fall in die warmen Kissen, bis irgendwann und gute Nacht…

Hmm.

Das hier ist die Geschichte, die man hört, wenn man bleibt.

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Straßenmusik

Es regnet. Selbst die Graffity sind grau.
Die ganze Stadt wirkt bei dem Wetter wie noch grad im Aufbau
Man denkt hier bleibt man trocken, wenn man etwas an sich werkelt
Und bei Regen ‘ne Fresse zieht wie Angela Merkel.
Zwischen Neubau und Regenwolken verschwindet der Kontrast
Um dich zurechtzufinden brauchst du bald ‘nen Kompass
Selbst der Regen hilft dir nicht dabei mal klar zu kommn
Denn alles fließt davon, du fühlst dich klar benommen
Und aus der Regenrinne tropft es auf den harten Asphalt
Es ist kalt. Und ich denke nichts gibt mehr Halt
Laufe so durch die Straßen voller Monotonie
Doch horche auf: und ich vergess’ die Melodie nie
Ich seh ihn dort unter der Brücke, vertreib’ die Sorgen schon
Rap im Kop zu der Musik vom Mann mit dem Akkordeon:

Mr. Akkordeon und ich, da habt ihr sicher klar gecheckt
Wir bring’ die Oldschool zurück, das hier ist Straßenrap
Wir bleiben positiv, auch mit dem Hals in der Gruft
Machen wir Kopfstand: schon weisen die Mundwinkel in die Luft
Machen aus Chili Schokolade, aus Zitronen Limonade
Wenn wir fertig sind, schmeckt sogar Mensaessen nicht mehr fade
Denn ich fühl mich immer bester Laune, wenn ich diesen Sound check
Der Mann ist positiv wie Schlagersänger auf Crack!