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Espíritu.

 

In der Kathedrale von Deba ist es kühl. Hinter der Statur eines christlichen Pilgers geht ein kleiner Gang in den säulengesäumten Hof; abstrakte Bilder an der Wand. Mittendrin steht Espiritu, eine Pilgerin aus der Herberge, gedankenverloren die Bilder betrachtend. Ihr rotes Kopftuch leuchtet im Kontrast zu den grauen Steinmauern. Sie sieht sich jede Kirche auf dem Camino an, oft begegne ich ihr, aber irgendwie schafft sie es, nie auf einem der Fotos in den mittelalterlichen Kirchen zu sein. Es gibt unzählige Motive, den Jakobsweg zu laufen, und für viele ist es nicht unbedingt ein christliches. Die Kirchen auf dem Weg sind architektonisch interessant, die Dankbarkeit für die Gastfreundschaft in ihnen ist groß, doch häufiger ist ein Ansatz wie jener von Busqueda: einen wie auch immer gearteten spirituellen Punkt in sich finden, die Welt aus einer anderen Perspektive sehen.
Gestern fanden Busqueda, Sorpresa und ich Unterschlupf in einem 500 Jahre alten Kloster, irgendwo in den Bergen hinter Markina. Vor dem Abendessen versammelten sich alle sechs betagten Mönche zum Gottesdienst in der überdimensionierten Kathedrale, die leicht schiefen Töne ihrer Gesänge purzelten durch die alten Gemäuer. Der Zahnlose verkaufte uns verträumt lächelnd hofgemachte Dulce de Leche. Es war mehr ein Relikt vergangener Zeiten, das diese sechs Verbliebenden aufrecht erhielten.
Wie viel stärker war da die Seele der kleinen sechseckigen Kirche auf dem Weg nach Guernica, deren Altar ein mächtiger, prähistorischer Fels war, der den Raum physisch und emotional ausfüllte. Die Verbindung aus Natur und Spiritualität; das, was für viele Menschen diesen Weg ausmacht.
Auch ich bin nicht (nur?) hier für die potentielle spirituelle Erkenntnis. Ich nutze halbtägige Pausen in Deba für eine Kanufahrt mit den Menschen, die derzeit meinen Weg teilen, genieße Aussichten und setze einen Fuß vor den anderen. (Mit inzwischen verbessertem Knie, wie Sorpresa nach einer 20 Kilometer langen Etappe zum Kloster gestern überrascht feststellte.) Ich laufe schweigend, unterhalte mich über Literatur, übersetze anderen Pilgern in den Herbergen oder genieße Abende wie jenen in der abgelegenen Herberge in den Bergen hinter Deba, an denen Sorpresa Schach lernt, Joven sich für den weinfreundlichen Vater schämt und Busqueda irische Lieder von der Sehnsucht singt. Ist das ein Pilgerweg, oder nutze ich nur die Infrastruktur eines hunderte Jahre alten Christenbrauchs aus? Eine Frage der Perspektive; sicherlich. Aber vielleicht geht es beim Jakobsweg ja auch gar nicht um die Kirche, in der die unfotogene Espiritu auf Gebetsbänken sitzt. Sondern um die Wege, die man dazwischen zurücklegt, und die Menschen, die dabei ein Stück von sich selbst neben die Jakobsmuschel in deinen Rucksack legen.

3 Antworten auf „Espíritu.“

Das hast Du sehr schön getroffen, am Schluss. Ach, peregrino, ich wünsche Dir, dass Du viele kleine Mosaik-Steinchen neben deine Jakobsmuschel packen darfst – und andere die schillernden Splitter mit sich tragen, die Du ihnen da lässt! Schön, dass es Deinem Knie wieder besser geht!

Nimm so viel mit, wie Du tragen kannst. Damit meine ich nicht ins Gepäck die Schwere für Deinen Rucksack, sondern Begegnungen, Erfahrungen, Schönes, Spirituelles, Gesang, Klang, Farben, Geschmack; Geruch und vielleicht Selbsterkenntnisse…. Und gib ab, was die anderen gebrauchen können und sie glücklich macht. Dein Lächeln, Deine Hilfe, Deine Worte. Ein Zuviel an Balast, was auch immer ist meist für alle Beteiligten ungünstig; sich zu trennen tut oft weh und kannn schmerzhaft sein; es kann aber auch sehr befreiend sein. (Hab den Umzug von und mit Irmgard erfolgreich geschafft. 🙂 ) Alles Gute, Nanni

“Ist das ein Pilgerweg, oder nutze ich nur die Infrastruktur eines hunderte Jahre alten Christenbrauchs aus?” Was für eine Frage! Ob Du über Gott, Christus, Buddha oder irgendetwas anderes nachdenkst: wichtig ist doch, dass man denkt, achtsam ist, einen Sinn sucht (und findet?), lernt, mit sich selbst zu leben und gleichermaßen mit anderen, sich überhaupt einmal Fragen stellt! Wenn das alles passiert, dann hat die Religion samt ihrer Infrastruktur doch schon einen sehr guten Job geleistet. Das sehen Jesus und seine Freunde sicher auch so. 🙂

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