Der galizische Regen prasselt aus allen Wolken, die der Himmel hat aufbringen können, die Schuhe sind nass, feucht klebt das Regencape an den Beinen. Kaum hatte ich zusammen mit Daría auf der Autobahnbrücke Asturien verlassen und das westlichste Land Spaniens betreten, zogen die ersten Wolken auf und begleiten mich nun seit zwei Tagen mit vernebelten Aussichten und Shirts, die nun eben nicht mehr schweiß- sondern regennass sind. Als wir heute mit Colín, die mit ihrem übergroßen Zelt unter dem Regencape wie ein kleiner Berg aussieht, in Mondonedo ankommen, flüchten wir uns in das erstbeste Café gegenüber der eindrucksvollen Kathedrale. Puddingdicke heiße Schokolade mit unten abgesetzter, gezuckerter Kondensmilch schmeckt erst richtig nach Glück, wenn vor einem der Regen auf das Kopfsteinpflaster prasselt. Colín kauft sich einen Flummi im Automaten und lässt ihn so lange auf dem Tisch hüpfen, bis ein kleine Delle entsteht; sie ist einer dieser Menschen, die man gleichzeitig amüsant-sympathisch findet, während sie einem tierisch auf die Nerven geht.
Irgendwann haben wir uns genug gedrückt, und machen uns durch den Regen auf, die letzten (wenigen) Kilometer für heute zu bewältigen. Mitten in den Bergen, während der Fuß durch Pfützen und die Laune durch aufmunternte Lieder stapft, erreichen wir das Haus der Malerin, “O Bisonte”. “Gebt mal eure ganzen nassen Sachen her, ich hänge die mal auf”, begrüßt sie uns, ihr T-Shirt ist dreckig, ihr Gesicht offen, in der warmen Küche dampft Eintopf für den Abend. Auf dem Speicher ihres Steinhauses, wo uns dunkles Holz und harter Schiefer vor dem Regen schützt, erwarten uns heimelige Betten, ein Apfel zur Begrüßung auf der Decke, zwei schnurrende Katzen um die Beine. “Verzeiht die Splitter in der Treppe, das will ich noch renovieren”, entschuldigt sich die Malerin, sie entschuldigt sich für vieles, das uns nicht mal aufgefallen wäre. Seit wann sie das Haus Pilgern geöffnet habe, frage ich, “Schon immer, seit ich es vor drei Jahren gekauft habe,” kommentiert sie nebensächlich. Jeder spendet was er kann, Mosaike in der Dusche und selbstgemalte Bilder an den Wänden; ich fühle mich ein bisschen wie in der Hippiekommune in der ich einst zum Kindergarten ging, nur ohne die Hippies. Schade dass Bettwanzen-Bo* nicht hier ist, er würde erfreut feststellen dass die Biester hier noch nicht angekommen sind.
Die Malerin ist grummelig liebenswürdig, sie bietet mir an noch länger zu bleiben. Während die Wolken sich ausschütten, knistert drinnen der holzofen, ich helfe beim Ausbau des neuen Bads und der Übersetzung eines Begrüßungstextes, zwei Tage später ist eine kleine Familie geblieben, die Malerin, die spanische Pilgerin Esperanza und ein italienisches Paar, dass vor einem halben Jahr für einen Tag und etwas Hilfe beim Ausbei vorbeikam, der bis heute andauert, und ich. Es sind zwei Tage mit vollen Tischen, Tee im Garten, auffliegenden Ascheflocken aus dem Ofen, italienischen Filmen, Besuche von Nachbarn mit Dudelsack, Schubkarren und Feuerholz. Als ich und Esperanza weiterziehen, lassen wir ein bisschen aufgestapeltes Feuerholz und das Gefühl von Zuhause zurück. In meinem Rucksack liegt der Apfel vom Bett und eine Flasche voller neuer Energie.
Und eins noch:
“Ich schreite zehn Schritte voran, und der Horizont zieht zehn Schritte weiter.
So viel ich auch laufe, ich erreiche ihn nie.
Was bringt dann noch die Utopie?
Das bringt sie: voranzuschreiten.”
(graffiti in Ribadeo)
*Seit irgendein Pilger vor zwei Wochen die ersten Bettwanzen in eine Herberge einschleppte, verbreiten sie sich in den Rucksäcken der Pilger über die Schlafplätze. Wer bei Verstand ist, stellt seinen Rucksack nicht mehr aufs Bett, guckt vorher nach schwarzen Flecken und schmeißt seine Wäsche etwas öfter in die Maschine. Und dann gibt es da noch den kroatisch-deutschen Militärsanitäter und seit neustem Bettwanzen-Spezialist Bo. Nach seinem ersten Befall verbrachte er eine halbe Nacht an der Waschmaschine, in jeder Herberge wo ich ihn treffe inspiziert er 20 Minuten Bettrahmen und umgebende Wände. Nach Ribadeo läuft er Daría und mir über den Weg, “hatte sie im Rucksack”, sagt er zerknirscht, die Bugspray-Dose noch in der Hand. Jetzt hat er sich ein Zelt gekauft, und während die Regensturzbäche auf unser Dach prasseln, kuschelt er sich in sein bettwanzenfreies Zelt.
Eine Antwort auf „Das Haus der Malerin und der Regen“
Ich liebe liebe liebe deine Texte. Und dich. ? Fast schon ein wenig neidisch, würde ich gerne eine Weile mit dir gehen. Und das nicht nur wegen der heißen Schokolade. ? wobei wir hierzulande noch solche Temperaturen haben und trockenes Wetter, was uns eher zu Eisschokolade und Eiskaffee verleitet. Viel Glück auf dem weiteren Weg. Nanni