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Am Ende der Welt

Eigentlich ist es gar nicht so spektakulär. Ein Leuchtturm, ein Stein mit der 0 Km Angabe, ein paar Felsen die zum Meer abfallen. Ein Mann der Gitarre spielt, eine Gruppe Pilger, die Wanderstöcke und Nachrichten mit Überwundenem verbrennen. Ein Sonnenuntergang, der deutlich weniger beeindruckend ist als jener, den ich am folgenden Tag vom kleinen, halbvergessenen Strand zehn Minuten hinter meiner Herberge betrachte (siehe Fotos). Eigentlich ist es nur ein Kap, das genaugenommen nicht einmal das westlichste Europas ist.
Aber zugleich ist es auch das Ende einer langen äußeren und inneren Reise. Die letzten Schritte nach über tausend Fußkilometern von Frankreich bis an die spanische Westküste.  Der letzte  Schlag meines Bambusstockes Salvador auf den steinigen Boden. Das Ende der Erde: Kap Finisterre.

Die letzten Tage von Santiago nach Finisterre waren wie ein neugemischtes Kartenset –  Pilger vom Camino Francés, Portugués und Norte treffen plötzlich aufeinander, man tauscht die unterschiedlichsten Erfahrungen aus, während der Höhenweg über die letzten Berge führt. Ab und an treffe ich jemanden aus dem Norden wieder, wie den österreichischen Ökonomen, den ich erstmals in Colombres traf (noch in Asturien,  vor über 300km) oder die Hippiedame aus den ersten Tagen in Galizien, neue Leute tauchen wieder und wieder auf, wie der Tschechische Programmierer oder das Schweizer Paar. Nach einer langen Etappe mit Christiana (der ersten nicht-polnischen Pilgerin die  zumindest teilweise aus katholischen Gründen läuft) komme ich in Cee an, einer Stadt in der nicht mal die Schritte der Fußgänger und das Klacken von Wanderstäben die allgegenwärtige Stille stört. In der Herberge an der Quelle  spielen wir Durak, die Herbergseltern verwöhnen uns mit Selbstgekochtem und Abschiedsumarmung, die Schokolade mit Kondensmilch schmeckt bereits nach Schlussetappe. “Hast du mit deinem camino erreicht was du wolltest?”  fragt Christiana, weil sie selbst keine Antwort weiß.
Als wir am nächsten Tag die letzten Kilometer am Strand entlang laufen, antworte ich “Ja” und schreibe die Namen der Menschen, die diesen Camino zu dem machten, was er war, in den Sand. Wir essen mittag in “la Familia del mundo”, eine Empfehlung von Esperanza, Punks und Hippies mit Linsensuppe auf den Tellern, bunte Wände, laute Musik. Neben uns sitzt ein weinendes Mädchen. Sie ist aus Berlin und auch den Norte gelaufen, bringe ich sie schließlich zum reden, der Teller vor ihr ist voller Linsensuppe und Probleme, die hier nicht hingehören. Hat sie mit dem Camino erreicht, was sie wollte? Ja, deswegen weint sie. Ich bleibe zwei Tage in der Herberge da Sol y Luna, hinduistische Wandmalereien und Lagerfeuer, das beste Frühstück seit zwei Monaten, gemeinsames Abendessen im Garten, an der Wand steht “Das ist nicht das Ende, es ist der Anfang”. In den Straßen des kleinen Ortes am Ende der Welt treffe ich Canto wieder, Sorpresa ruft zufällig an, während die Sonne hinter dem Strand versinkt und die Wellen sich im Rot brechen. Ob ich erreicht habe, was ich vom Camino erwartet habe, fragt sie, aber was sind schon Erwartungen. Das räumliche Ziel zu erreichen, das ist leicht. Ein paar Berge, ein paar Landstraßen, Baskenland, Kantabrien, Asturien, Galizien, irgendwann ist es normal morgens aufzustehen, die Füße zu tapen  und loszulaufen, bis man eben am nullten Kilometer ist. Verändert man sich dabei? Kehrt man anders zurück? “Nur wenn man kein Schmalspurpilger ist”, würde Canto sagen. “Das werde ich erst zuhause wissen”, würde Busqueda vermuten. “Hoffentlich” meinte Esperanza.
“Ja”, antworte ich, schreibe “gracias” in den Sand und lasse das Ende der Welt hinter mir.

Eine Antwort auf „Am Ende der Welt“

…und das soll jetzt das Ende der Geschichte sein? Sicher wird es das ein oder andere mal wehmütige Erinnerungen an diese gemeinsam erlebten Zeiten und Wege geben. Und wer weiß, ob auch das möglicherweise unbeabsichtigte und ungeplante Wiedersehen. Egal ob nun der Weg das Ziel war oder die in den Sand geschriebenen Begegnungen und Ereignisse, es hat dich irgendwie auch weiter gebracht – so und so gesehen. Nun für die letzten Stunden der gemeinsamen Zeit viele gute Wünsche, Umarmungen, Erkenntnisse und dann allen Beteiligten einen guten Rückweg, gleich welcher Art, wie und wohin. Für mich ist es eine Freude dich sehr wohl bald wieder zu sehen.
Bis dann. Susanne

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