Der Thüringer Wald war bisher immer ein bisschen ein weißer Fleck auf meiner Landkarte. Völlig zu Unrecht wie sich dieses Jahr herausstellte, bei gleich zwei Gelegenheiten.
Nachdem ich über Ostern mit der Familie den südlichen Wald und Erfurt erkunden konnte (was für ein süßes Zuckerbäckerstädtchen!) war ich nun auf meinem diesjährigen Jahresurlaub mit meinen allerbesten Alma erneut in Thüringen – im Nationalpark Hainichenwald. Quartiert in einem hübschen kleinen Holzhaus in Palumpaland, an einem sonnenuntergangsverwöhnten Stauseestrand, bekam ich ausgiebig Gelegenheit, meine neuen wanderschuhe zu testen.
Drei Highlights:
1) Hoch oben auf dem Baumkronenpfad, inmitten des Thüringerschen Urwalds. 50 meter unter uns das Unterholz, neben uns die vögeldurchzwitscherten Kronen hundertjähriger Bäume
2) Auf der alten Grenze zwischen Thüringen und Hessen, Ost und West, wo ein langer Streifen Grün sich zwischen wachturmbedeckten, schwitzenderreichbaren Bergspitzen und sonnengoldnen Rapsfeldern entlang schlängelt; eine 12-Kilometer Rundweg Schönheit (was keine sinnvolle Entfernungsangabe ist wenn es immer wieder auf dem Schild am Rande des Weges steht)
3) Tief unten, zwischen moostriefenden Felswänden in der Klamm der Drachenschlucht bei der (deutlich weniger spannenden) Wartburg. Der Fluss unter unseren Füßen, eine schmale Spur Himmel über den Köpfen, die schönste Fabelfelsschlucht vom Fluss in den Stein gefräst.
Alles Weitere ergibt sich aus den Fotos. Genug neidisch gemacht. Fahrt dort hin. Lohnt sich.
Schlagwort: Deutschland
Wenig Schlaf, viele Eindrücke, weite Strecken, und keine Minute Zeit für den Block. Klingt nicht nach Urlaub? Nein. Reisen.
Nachdem ich in Sarajevo angekommen war, stieß ich zum “TEAM1WORLD”, mit dem ich die nächste Woche verbringen sollte. Das Ganze ist ein Projekt, das Südosteuropa zusammenführen soll, indem jungen Menschen aus aller Herren Länder die Möglichkeit gegeben wird, in einem Auto voller anderer Nationalitäten diese vielseitige Region zu bereisen. Chili und ich hatten einen der begehrten Plätze dieses Reisestipendiums bekommen, und teilten uns die Tour: Chili reiste mit dem Team von Berlin über Nürnberg, Berchtesgarden, Venedig und Zadar nach Sarajevo, ich übernahm ab dort. So traf ich am 7.8. auf das Team, mit dem ich die nächste Woche verbringen würde. Neben Chili und einer anderen Deutschen (“Let’s see how it goes”), die das Team ab Sarajevo verließen, waren das Serendipity aus Italien, Nafaka aus Bosnien-Herzegowina und Saudades aus Portugal. (Die Namen, die ich ihnen hier gebe, waren ihre Lieblingswörter aus verschiedenen Sprachen: Serendipity = unerwarterer, positiver Zufall auf Englisch, Nafaka = täglich änderliches Schicksal auf Bosnisch, Saudades = das Gefühl, etwas / jemanden zu Vermissen auf Portugiesisch). Zusammen erlebten wir Sarajevo, eine Stadt, die noch immer zahllose Narben des Krieges trägt: Einschusslöcher in Häuserfronten, endlose muslimische Friedhöfe mit den Todeszahlen 1992-1995 und das Museum Srpnitza, das uns zerstört und verzweifelnd ins grelle Sonnenlicht zurückstolpern ließ.
Doch selbstverständlich bot die Stadt auch Schönes: die herrliche muslimische Altstadt, einen Sonnenuntergang mit Muezzin-Gesang von der gelben Festung aus über die Stadt blickend, hervorragende Jazzmusiker in einer Kellerbar. (Fotos siehe letzter Post).
Am 9.8. schließlich ging es los: Wir packten unsere eng gepackten Sachen in den Fiat, verabschiedeten uns von Chili und “Let’s see how it goes” und fuhren gen Norden.
Schon bald erreichten wir Serbien, wo wir im kleinen, unerwartet hübschen Novi Sad pausierten (und es spaßeshalber mit den Augen eines Marketeers sahen).
Einen langen Grenzübergang später erreichten wir spät am Abend Budapest, wo wir (wie zuvor in Sarajevo) in einer vom Team1World bezahlten Unterkunft totmüde zu Bett fielen. Doch an Ausschlafen nicht zu denken in Budapest erwarteten uns am nächsten Tag viele weitere Missionen: Wir besuchten die “Invisible Exhibition”, in der wir in die Welt blinder Menschen eintauchten, in völliger Finsternis unsere Umgebung ertasteten und Gerüche und Geräusche plötzlich ganz anders wahrnahmen. Einen Umweg über die Fischerbastei nehmend entdeckten wir dann das “Hospital in the Rocks”, einen Krankenhausbunker aus dem Zweiten Weltkrieg, später als Atomschutz-Krankenlager ausgebaut, in verzweigten Tunneln unter der Stadt. Geigerzähler und OP-Besteck versetzen einen nicht eben in eine leichtfertige Stimmung. Ein kurzer Besuch im herrlich alternativen Szimpla und wir waren bereit für die Thermen wie anders kann man den Flair dieser Stadt sonst fassen?
Wie stets erwarteten uns auch andere Missionen, diesmal der Blick des Autors (was mir natürlich entgegen kam), und die Anregung, uns von Budapest für einen fiktiven Roman inspirieren zu lassen. Hier der erste Absatz von “The Blind Bunker”:
The siren screamed ghostly like a dying whales’ last breath through the dust-shaken alleys of Budapest. The dirt laid like a sandstormed carpet on my face, as my feet found their way through the shredded remains of the Jewish Quarter. The odour of bombs and burned flesh still hung in the air, iron and the faint stains of gasoline. I missed the coldstoned smell of the moldy bunker caves.
“The voice, Master”, one of my followers asked anxiously. His steps weak and reluctant without me, as those of all the lucky
survivors, whose eyesight had been destroyed by the nuclear light.
“Where does this noise come from?”
“Radio.” I grumbled and let my white stick search the ground for the device. Under the blinded, the blind-born is king. I picked up the radio, turned on the spot and went back to this small fortress of mine, the former hospital in the rocks. My blind bunker.
Schon ging es weiter, eine weitere Grenze passiert und in die Slowakei, ein Land voller atemberaubend schöner Berglandschaften, die wir nicht nur an unseren Fiat-Fenstern vorbeiziehen ließen, sondern auch auf einer kleinen Wanderung ins idyllische Vlkolinec entdeckten:
Der nächste große Stopp war dann das polnische Krakau, wo wir unseren eigentlich nur einen Tag andauernden Aufenthalt um eine weitere Nacht verlängern konnten endlich genug Zeit, die Stadt richtig kennen zu lernen.
Der erste Tag war jedoch zu großem Teil Auschwitz gewidmet. Es gibt keine angemessenen Worte, dies zu beschreiben, denn auch wenn die Fakten selbst in zahllosen Geschichtsstunden und Arte-Dokus vermittelt werden, ist es doch etwas gänzlich anderes, am Ort dieser Verbrechen zu stehen und den Tod zu spüren. Es ist unmöglich, dies zu beschreiben, oder zumindest unmöglich, das mit meinen eigenen Worten zu tun.
Umso besser war es, den Rest des Tages mit unseren Gedanken und Gesprächen verbringen zu können, und die Entdeckung Krakows auf den nächsten Tag zu verschieben. Krakow ist eine mittelalterlich geprägte, hübsche Kleinstadt, auf deren Marktplatz wir talentierte Akkordeonisten und Gitarristen bewunderten, uns auf dem Pierrogi-Fest durch die verschiedensten Geschmacksvariationen probierten und an der Festung beim Sternschnuppengucken vom feuerspeienden Drachen überraschen ließen.
Am 13. schließlich kehrte unser Auto, die letzte Runde des diesjährigen Team1Worlds, nach Berlin zurück. Wenngleich für mich bekannt, konnten wir als Team zusammen doch auch diese Stadt neu erkunden. Wir kochten mit einer Gruppe Flüchtlingskindern in Charlottenburg und hörten Hintergründe zur Kreuzberger Alternativkultur, entspannten uns am Holzmarkt und blickten im jüdischen Museum noch weiter zurück in die Historie des jüdischen Aschkenas.
Was bleibt, nach einer Woche voller Eindrücke? Zusammengefasst in einer Seite unseres gemeinsamen Team1World Reisetagebuches. Mehr zu dem ganzen Projekt findet ihr hier:
6 Klimazonen auf 60 Kilometern
Locker sechs Klimazonen entdeckten Torben und ich auf unserer 10-Tage-Wanderung über die wunderschöne Ostseehalbinsel Fischland-Darß-Zingst. Gut, was das tatsächliche Klima betraf, war es meistens einfach nur kalt. (Zu sehen an den Schals.) Aber was die Vegetation betraf, die Aussichten, die Gerüche und Geräusche, hätten wir uns genauso gut durch sechs verschiedene Länder bewegen können mit Grenzübertritten alle gefühlte halbe Stunde, vor allem im Darßer Ort. Dinge, die nicht auf Fotos passen: Der Geruch des Moors, die Anstrengung, gegen starken Küstenwind Fahrrad zu fahren, die Kälte der Luft auf einem Leuchtturm, das Erstaunen, viele große und kleine Tiere, der angenehme Effekt eines heißen Tees aus der Thermoskanne. Alles andere, ohne viele Worte, hier auf Fotos:
Die Steppe. (Hohe Düne auf Zingst)
Alaska. (Eingefrorene Aussichtsplattform und eisbedeckter Bodden auf Darß)
Der Morrast. (Moorwald auf Darß)
Skandinavischer Nadelwald. (Darß)
Serengeti. (Darßer Ort)
Englische Steilküste. (Okay, das war nicht auf Fischland-Darß-Zingst, sondern Rügen – daher auch das Nazi-Kurbad Prora dadrunter)
Antarktische Inseln? (Das ist schwer vergleichbar. Auch Darßer Ort)
Festung Königstein 13.2.12
Eigentlich hatten wir uns einen ganz tollen Plan gemacht: per Bus nach Rathen, Bastei besichtigen, per S-Bahn nach Königstein und dann zurück zur Pension… nur standen wir nun auf der Westseite der Elbe und durften feststellen, dass die Fähre seit einer Woche wegen Eises in der Elbe nicht fuhr. Wir ärgerten uns ein wenig, stiegen dann in die S-Bahn und nahmen uns dafür mehr Zeit für die Festung Königstein im gleichnamigen Ort, die sich nach einem circa einstündigen steilen Weg erwartete, eingebettet in die Felsspalten des Königsteins, eine Fläche mehrerer Hektar einnehmend und sämtliche Baustile der letzten Jahrhunderte vermischend immer wieder wurde die Burg zur Festung nachgerüstet, obgleich sie letztlich nie angegriffen wurde. Was für eine Geldverschwendung. Ein kompliziertes Kasematten-System, welches wir auch besichtigten, völlig umsonst. Nun, nicht ganz, immerhin diente die Festung uns nun als empfehlenswerter Ausflugsort, vor allem Dank fehlender anderer Touristen, großartiger Aussicht und dem Festungswald, den aus den Felsen ragenden Zinsen, von denen man auf das Dorf Königstein und die Elbe hinabblickt, und einem so ursächsichen Touristenführer, nü, dos es ejn Vognüjen woa. Abends die Sauna in unserer Pension ausgenutzt und wertgeschätzt…
Kleiner Alleingang 14.2.12
Auch heute wieder ein stark abgewandelter Plan: nach ersten Überlegungen, nach Zeughaus zu wandern, auf Empfehlung unserer Gasthaus-Besitzerin nach Hinterhermsdorf gewandert, von wo man zur “romantischen Oberen Schleuse” komme. Kam leider nur ich, da Torben sein schmerzender Fuß zu schaffen machte, und er ab dem Ort per Bus zurückfuhr. Ich wanderte weiter in den Canyon der Schleuse, samt wahrscheinlich schmalstem Felsaufstieg den ich je nahm und einer Schutzhütte, in der ich zu sommerlichen Zeiten unbedingt mal frei übernachten muss.
Die Bastei 15.2.12
Da heute der letzte Tag war, nahmen wir uns vor, jetzt doch noch die Bastei zu besuchen – da die ohnehin auf dem Weg Richtung Dresden und Halle lag. Leider führte das Navi uns “auf dem schnellsten Weg” hinter irgendeinem Kaff auf den “Höllweg”. Wir hätten skeptisch werden sollen. Wurden wir nicht, blieben dafür stecken. Viel geschiebe und gewende später nahmen wir alternative Routen, bis wir das gar nicht so leicht erreichbare Rathen erreichten (Luftkurort, daher quasi vollständig für Autos gesperrt), und von dort nicht den eigentlichen, dafür einen abenteuerlicheren und trotzdem zum Ziel führenden Wanderweg fanden, der uns Bastei hochführten: fulminanter Höhepunkt unserer Wandertage; ein architektonisches Kunstwerk ohnegleichen, seht euch die Bilder an. Wir waren überwältigt. Wie überhaupt von dieser herrlichen Region, und kommen sicher irgendwann zurück.
Winterwonderland 10.2.12
Das Schöne liegt so nah. Knappe 3h südlich von Halle erreichten Torben und ich heute Mittag Saupsdorf in der sächsischen/böhmischen Schweiz. In einer Pension für 14/Nacht (“Tannenhof”) hausieren wir nun für 5 Tage bei den etwas grobschlächtigen aber netten Pensionsbesitzern in einem ganz und gar aus Holz zu bestehen scheinenden Zimmer mit Schrägdach. Grob das Erste ausgepackt, und dank grober Beschreibung der Wirtin eine primitive Karte gezeichnet und auf den weg gemacht. Wir entdeckten den gelb markierten Wanderweg und folgten ihm bis zu einem versteckten Berggasthof, wo wir neben Gulasch auch eine Wanderkarte bekamen, und uns daraufhin entschieden, zum Aussichtsturm Weifberg weiterzulaufen. Durch ca 10cm hohen Schnee stapfend, immer wieder die wanderpfadsymbole suchend, wanderten wir durch bezauberndes schneeland über Lichtungen und durch Wälder. Das Wetter spielte mit, herrlicher Sonnenschein und warme Klamotten ermöglichten die Wanderung bis um 5:00, inklusive aufstieg auf den aussichtsturm samt grandioser Aussicht (was auch sonst). In Hinterhermsdorf angekommen, einen Kaffee bei “Zu Peters” getrunken (der Stammtisch mit älteren Herren trug ein Holzschild mit der Aufschrift “Stammtisch”), und dann per Bus zurück nach saupsdorf. Während uns unsere heutige Route nur knapp an Tschechien und ebenso knapp am Nationalpark vorbei führte, geht es morgen in Letzteren!
Nationalpark 11.2.12
Wir ließen uns das Frühstück extra bereits um 8 machen und kämpften uns zeitig aus dem Bett – waren aber ja auch recht früh schlafen gegangen. Um kurz nach 9 stapften wir dann mit Proviant im Rucksack los – in die falsch Richtung. Naja, zumindest etwas zu weit, bis wir dann den roten wanderpfad aus saupsdorf raus gen Süden fanden. Schon bald nachdem wir die Grenze des Nationalparks übertreten hatten, erklommen wir einen Felsen, der zwar glatt wie ein Gletscher war (wir fielen auch mehrmals hin), aber die Wanderoute beschenkte uns dafür mit einem königlichen Ausblick von den schroffen Felsen hinab über verschneite Tannen und ferne Felsen des Nationalparks. Weiter hinab ging es durch selbige Wälder, wir sahen einen Fuchs und erreichten die Buschmühle an der Kirnitzsch, an deren Seite wir nun eine Weile wandern sollten. Sah zwar herrlich aus, ist aber dafür kälter als in der Höhe. Einen Bogen um das Dörfchen Kuhstall machend erreichten wir bereits 12:45 den Lichtenhainer Wasserfall. Selbstredend zugefroren. Aus unserem Plan, von der nächsten Haltestelle aus die 1896 gebaute Kirnitzschtalbahn zu nehmen wurde nichts, da wir die stündlich fahrende Bahn um 10 min verpasst hatten. So gingen wir weiter und entschieden uns bei der Station “Nasser Grund”, sie Links liegen zu lassen und die auf einem Schild als “gemütlich” gepriesene Wanderoute zu nehmen, laut der wir 2h später dort zurück sein sollten und eine zeitlich passende Bahn nehmen könnten. Der “Butterweg” war zwar alles andere als gemütlich, aber wir hatten auch schon schlimmeres erlebt, und so errichten wir eine 3/4 Stunde später das Bergsteigerehrenmal “Hohe Liebe”: welch unglaubliche Sicht belohnte den Aufstieg! Wir entschieden uns, statt zurück weiter vorwärts zu gehen und folgten dem Oberen Liebweg hinab bis zur Ostrauer Mühle, wo wir wider Erwartens bereits die 15:20 Bahn nehmen konnten und bis auf 5 min genau ankamen. Mit dieser fuhren wir dann nach Bad Schandau, wo wir die zusätzliche Zeit mit einem Stadtbummel zu vertreiben gedachten -wäre der Ort nicht so langweilig gewesen. Nun, kein Tag ist perfekt. Wir wussten uns die Zeit bis zur nächsten Busfahrt gen Pension zu vertreiben.
Ausflug nach Tschechien mit Zugabe 12.2.12
Da wir etwas weniger wanden wollten als gestern, die Sonntags Busverbindungen allerdings eine Fahrt zur Bastei erschwerten, fuhren wie zum Wandern in die nahegelegenen Tschechische Republik. Die ÖPNV Verbindung war nicht gerade schnell und einfach, aber dank nur 2 Zonen recht günstig: mit dem Bus nach Sebnitz, nach Bad Schandau, nach 3/4h warten per S Bahn nach Schöna und von da per Fähre nach Hrensko. Schon am Kai sah man die Ankunft im Nachbarland: uns empfingen von Asiaten geführte Klamotten und Ramschstände am Straßenrand zwischen Touri-Restaurants mit 80 Gerichten in Kronen und Euro auf der Speisekarte. Wir durchquerten den Ort und folgten der Straße an Flussesseite etwa 40min lang, bevor wir auf den roten Wanderweg in dem böhmischen Nationalpark hinein abbogen. Die Wege waren etwas besser befestigt als jene der letzten Tage, und wir begegneten ganzen 8 anderen Wanderern während wir mit eingefrorenen Bärten (nie war mir das aus Kolumbien mitgebrachte Panela in der Thermoskanne mehr wert als dieser Tage) den verschneiten Wald anstiegen. Nach knapp 2h erreichten wir das Prebischtor, eine imposante, torförmige Felsformation, an dessen Seite ein Gasthaus im Fachwerkstil lehnt. Im Sommer sicher gut von Gästen besucht, war es derzeit geschlossen, und damit auch der Zugang zum Platau unter dem Tor selbst. Dass man fur diese Feststellung erst bis vors Tor der Gaststätte hochlaufen muss, ist bestenfalls unfreundlich. Aber Ärger wäre sinnlos, das Tor auch von unten sichtbar, und so machten wir uns nach einer Brotpause an den Abstieg. Schneller als erwartet trafen wir wieder in Hrensko ein, so dass noch Zeit für eins der besseren Restaurants blieb, bevor wir an den Kai gingen, von dem laut ÖPNV Website die Fähre um 16:48 fahren sollte. Wir warteten am Kai hin und her laufend… bis auf der anderen Seite bereits die S Bahn weg war. Die Fähre fährt auf Abruf – wenn man am Ablegesteg steht kommt sie rüber. Ärgerlich, da wie so zwar noch die nächste S Bahn nehmen konnten, der letzte Bus von Bad Schandau nach Sebnitz aber bereits weg war. Alle Möglichkeiten durchgecheckt fuhren wir nach Pirna weiter (grandioser Umweg), von wo noch ein späterer Bus nach Sebnitz fuhr, wenn auch keiner mehr ab dort nach Saupsdorf… Da half nur noch das Taxi.
PS Famose Fotos folgen!
Gleich zwei Dinge, die mich in letzter Zeit ziemlich beschäftigt hielten, werde ich im Laufe des Februars abschließen: zum einen meine Bachelorarbeit, für die ich ja im September und Oktober in Kolumbien forschte, und seit dem viel Zeit am Schreibtisch damit verbrachte, all diese Erhebungen auszuwerten. Zum anderen das Album “Utopía” meines Musikprojektes “Fremdgang”, für welches ich vor allem mit Flo und Eric in den letzten zwei Monaten viel Zeit im Studio verbrachte, und jetzt darauf warte, dass die CD das Presswerk verlässt. (Was das alles ist und soll und vor allem wie sich das anhört, seht ihr auf der Fremdgang-Seite, oder auch auf unserer Facebookseite). Da habe ich mir etwas Urlaub doch verdient, dachte ich mir, und werde nun zusammen mit Torben fünf Tage in die Böhmische Schweiz fahren, die unter einer vom sibirischen Wetter verursachten, bildhübschen Schneedecke liegt. In einer kleinen Pension am Rande des Nationalparks und der Grenze zur Tschechischen Republik werden wir ein wenig zur Ruhe kommen, und von dort aus wandernd (und in Schichten von dicker Kleidung gepackt) eins der schönsten Naturgebiete unseres Landes erkunden… wir sind gespannt was uns dort erwartet! Wenn ihr Tipps oder Erfahrungen habt, freuen wir uns da natürlich sehr drüber.
Bis dahin hört euch schonmal das Medley des Fremdgang-Albums an und schreibt mir, wenn ihr auch eines kaufen möchtet, dann bekommt ihr sie direkt zugeschickt ihr freut euch über die Musik, und wir darüber, dass wir unsere Kosten gedeckt kriegen. Und natürlich darüber, dass ihr euch freut. Mit dem Gedanken im Kopf freu ich mich wiederum umso mehr aufs Wandern.
Die Deutschlandreise im Radio
Der aufmerksame Leser bemerkte sicherlich, dass Torben und ich auf unserer Tour immer mal wieder irgendjemanden interviewten, und unsere Gastgeber schauten uns hin und ab verwundert zu, wenn wir eine kurze Aufnahme per mobilem Aufnahmegerät machten: Diesen Donnerstag wird eine Stunde lang unsere Radiosendung Stadtvögel auf dem hallischen Sender Corax unserer Deutschlandtour hinterherreisen, musikalisch und inhaltlich, indem wir (und einige Interviewpartner) uns von den verschiedenen Stationen unserer Reise melden. Wer dazu mehr wissen will, findet das hier: Stadtvögel On the Road.
Ich muss einen weiteren Ort auf meine Liste der definitiv lebenswerten Städte und potentiellen Masterkandidaten stellen. Okay, 70.000 Einwohner ist wirklich nicht gerade eine Maßzahl für eine aufregende Stadt, doch Bamberg ist trotz seiner geringen Größe ein erstaunlicher Ort, nicht zuletzt dank regen Uni-Lebens und der einstigen Größe, die eine Innenstadt mit Weltkulturerbe-Status hinterlassen hat. Wir kamen bei meinem ehemaligen Klassenkameraden Christian unter, dem es dort so gefällt, dass er auch für den kommenden Master gleich hier bleiben will. Leider konnte er nicht allzu viel Zeit mit uns verbringen, da er seine letzten Klausuren zu leisten hatte. Dienstag Abend, nachdem Torben und ich ein ausführlichstes Interview mit zwei Mitgliedern der oberfränkischen Rap- Volxgesang-Musikgruppe Kellerkommando (ja, wirklich. Es ist grandios, sie sind übrigens auch im Soundtrack vom bald anlaufenden “Resturlaub”) geführt hatten, gönnte er sich aber ein wenig Freizeit und wir chillten zusammen mit ein paar befreundeten Musikern in “Lagerfeuerromantik mit mobilem Verstärker” am Sonnentempel im bambergschen Hain – ein riesiges Wald- und Wiesengebiet noch auf der zentralen Insel der Stadt. Klang das schon nach einem fantastischen Abend, kamen wir am Mittwoch aus dem Staunen kaum mehr heraus: eine bildschöne Innenstadt voller Fachwerkhäuser, einem Kloster und einem Palast auf mehreren Hügeln verteilt, “Klein-Venedig” im früheren Fischerviertel direkt an der Regnitz und die höchste Brauerei-Dichte der Welt das berühmte lokale Rauchbier trinkt man entsprechend auch nicht nur aus dem Glas, sondern verwendet es auch in der Soße zur “Bamberger Zwiebel”. Dazu die Mischung aus fränkischem Dialekt und hohem Studentenanteil (da spiegelt sich auch das Konzept der Band Kellerkommando wieder) – Bamberg übertrifft wirklich alle Erwartungen. Am späten Nachmittag schleppten wir dann Christians Faltboot (ein zusammenbaubares Kanu aus DDR-Zeiten, dass in zwei große Säcke verstaut werden kann) an den Kanal, bauten es dank Christians professioneller Hilfe sogar erfolgreich zusammen und umfuhren in drei Stunden die gesamte Inselstadt, an drei Schleusen das Kanu über Land vorbeitragend, vorbei am stillen Hain, dem riesigen Hafen und der bevölkerten Innenstadt samt Klein-Venedig. Wäre ein perfekter Ausflug gewesen, mit einem kleinen stimmungstrübenden Aspekt: als wir (zum Glück) bereits angelegt hatten und Torben loszog, um das Auto zu holen, während ich das Kanu zusammenbaute fing es an, wie aus Eimern zu regnen, was das Zusammenpacken nun wirklich nicht gerade angenehm machte. Aber solange eine unschöne Überraschung aus den Wolken während des Zusammenbauens das Einzige ist, was unseren Aufenthalt in Bamberg trübte, vermeiden wir doch jegliche Beschwerden – hat doch das kleine Bamberg dazu beigetragen, unsere Deutschlandtour auch in den letzten Tagen noch zu einer grandiosen Reise zu verwandeln.
Unser letzter Aufenthalt führte uns dann nach Thüringen, wo wir von Donnerstag auf Freitag in Weimar weilten. Mein guter Freund Andi aus Halle empfing uns in seiner Heimatstadt und führte uns durch dieses Denkerstädtchen, in dem an jeder Ecke irgendein Bezug zu Goethe und Schiller und diversen anderen Promis aus deren Tagen. Das überteuerte Goethehaus sparten wir uns (selbst das am Freitag noch besichtigte Gartenhaus Goethes im Park lies nur spärliche Begeisterung aufkommen), und für den hochgelobten Rokokosaal der Bibliothek bekamen wir keines der täglich begrenzten Eintrittstickets mehr, und so erlebten wir Weimar vor allem von draußen – was jedoch ein herrlicher Abschluss unserer Tour war, und wir noch einmal gehörig zur Ruhe kommen konnten – die ohnehin recht ruhige Kleinstadt besteht nahezu zur Hälfte aus einem riesigen Park voller versteckter Kleinigkeiten (Ruinen, kleine Hütten, Brücken
), in welchem wir gemütlich umherwanderten, schlenderten durch die geschichtsträchtigen Straßen und genossen die Unaufgeregtheit. Den Abend verbrachten wir ähnlich angenehm im “Falken”, einer demographisch herrlich durchmischten, urigen Kneipe mit Jazzband und leider nicht ganz so gutem Cuba Libre. Die perfekte Krönung für einen solch entspannenden Aufenthalt: freitägliches französisches Frühstück mit Zeitunglesen und abschließender Spaziergang durch den Park. Das klingt vielleicht nicht wahnsinnig spannend, sorgte aber dafür, dass wir nun schön entspannt mit der Sonne im Nacken wieder in unser Halle zurückkehren können.
Dreitausend Kilometer Entfernung haben wir in fast drei Wochen zurückgelegt, von den Metropolen dieses Landes bis zu den kleinsten Örtchen mitten im Nirgendwo, von den Partymeilen bis zu den ruhigsten Seen, schliefen bei Verwandten, alten Freunden, Couchsurfern sowie in einem Hotel und im Zelt, konnten so gut wie überall mit den hilfreichen Tipps, Stadtführungen und Wegbegleitungen durch all diese Menschen rechnen, durch die wir jede Station unserer Tour auf neue Weise entdecken durften. Wir sahen alte Fabriken und Trend-Viertel, Burgen und Kirchen, ein Konzentrationslager, das Meer und viele Flüsse, mittelalterliche Städte und abstruse Campus-Unis und Touristenattraktionen; wir gingen zu Konzerten und interviewten gleich drei Interpreten für unsere Radiosendung, grillten, kochten Dosenessen auf dem Campingkocher und aßen fantastische lokale Spezialitäten, und Torbens Auto ist jetzt ungefähr doppelt so voll und dreimal so dreckig wie zuvor. Klingt nach einer guten Bilanz.
Deutschland-Reise: München
“Kleines Dorf voll Schickeria” und “Möchtegern-Metropole”, die Hauptstadt des Südens, um es mit der hier lebenden Künstlerin Fiva MC auszudrücken: München ist ein Mikrokosmos innerhalb Bayerns. Ähnlich wie in Berlin ist es hier gar nicht so einfach, gebürtige Münchner zu treffen, und man hört viele verschiedene Sprachen und eine große Vielfalt, doch zugleich immer wieder bayrischen Zungenschlag und Weißbier an jeder Ecke. Wir kamen bei meiner Tante Netti unter, die uns Sonntag Abend in Solln empfing, nachdem wir den frühen Abend noch durch die englischen Gärten spaziert waren. Ihre Gastfreundschaft ging erfreulicherweise weit über Schlafplatz und leckeres Essen hinaus – als wir am Montag morgen aufgrund Baustellen auf der S-Bahnstrecke später als geplant in der Innenstadt ankamen, begleitete sie die Stadttour, die wir besuchen wollten, bis wir eintrafen, um uns dorthin lotsen zu können. Die einzige während unserer ganzen Reise gemachte Stadtführung war es wirklich wert: schon aus Prag und Dublin kannte ich die NewEurope-Free Tours, ein tolles Konzept, bei dem Freelancer kostenlose Stadtführungen zu Fuß anbieten und nur vom anschließend gegebenen Trinkgeld leben. Entsprechend gut fiel auch hier die Führung durch Sonja aus, eine in Florida aufgewachsene Studentin mit deutschen Vorfahren, die uns in drei Stunden abwechselnd zahllose interessante Orte zeigte und amüsante historische Anekdoten erwähnte und an mehreren Stellen die dunkle Vergangenheit der nationalsozialistischen “Hauptstadt der Bewegung” behandelte – auf sehr lobenswerte Weise, bei der auch der Münchner Widerstand berücksichtigt wurde, und die meist ausländischen Touristen auf die inzwischen stattfindende Vergangenheitsbewältigung der Deutschen hingewiesen wurde. In der sogenannten Drückebergergasse konnten wir uns einer Gänsehaut nicht erwehren: Münchner, die an einer von den Nazis als Denkmal für (angeblich) 20 getötete “Revolutionäre” nicht den Hitler-Gruß geben wollten, umgingen diese Stelle durch die kleine Gasse – selbst, als dort aufgestellte Wachen alle Passierenden kontrollierten und notierten, und jeder, der dort zum zweiten Mal hindurchging, mit harten Folgen rechnen musste. Ein goldener Streifen auf dem Kopfsteinpflaster erinnert an die Wiederständler – er endet abrupt in der Mitte der Gasse, wo die Wachen für das Verschwinden vieler dieser Menschen sorgten.
Nach dieser so wärmstens zu empfehlenden Tour betrachteten wir noch die Stadt von oben (auf dem Turm der Marienkirche wurden wir mit fantastischer Aussicht belohnt) und aßen bayrische Landesküche, bevor wir nach einem kurzen Besuch des Königsplatzes zurück nach Solln fuhren. Nachdem ich noch meine ebenfalls dort wohnende Oma besucht hatte, gingen wir nach gemütlichem Essen mit Netti und einen Freund Torbens, der zufälligerweise ebenfalls in diesem Viertel wohnt, ein Bier trinken – Lorenz und Torben hatten sich letztes Jahr auf Kuba kennengelernt; und wir hatten einiges Interessantes zu erzählen. Am Dienstag nutzten wir den Vormittag vor unserer Abfahrt, um das jüdische Museum neben der ursprünglich anvisierten (aber geschlossenen) Synagoge zu besuchen, wo eine derzeitige Ausstellung die Rolle der Juden im deutschen Nachkriegsfernsehen betrachtete.
Und mit der Abfahrt wurde uns nochmals bewusst, was Sonja schon während der Führung erwähnte: in Deutschland wird wie in wenig anderen Ländern dafür gesorgt, nicht zu vergessen, was in der Vergangenheit geschah, so dass es ein natürlicher Teil unserer Deutschlandreise darstellt; und vielleicht sollten wir anfangen, uns nicht (nur) als Volk der Täter-Nachfahren zu sehen, sondern auch als Volk, dass Verantwortung übernimmt, verarbeitet, und 120 Denkmäler allein in München aufstellt, um sich dann zu fragen, ob das ausreicht. Das ist mehr als nur ein großer Schritt.
Unterschiedlicher könnte sich der baden-württembergische Südwesten uns kaum präsentiert haben als in diesen drei Orten – Heidelberg, Stuttgart und Tübingen machten den zweiten Teil dieser Woche unerwartet abwechslungsreich. In Heidelberg nächtigten wir bei Marcel, einem äußerst liebenswürdigem Couchsurfer in einer 4×7-WG-Kommune. Wir trafen ihn an der Villa Nachttanz außerhalb Heidelbergs, wo er Mittwochs nachmittag einen Stand für “Coffee ohne Grenzen” aufbaute, ein alternatives Projekt mit Ziel eines ehrenamtlich-gemeinnützigen Cafés in Heidelberg. Durch den wahnsinnig autounfreundlichen Verkehr der Stadt (die übrigens kleiner ist als Halle! Wirklich!) kamen wir in seine Bude, und der alternative Hippie-flair sollte uns bis zu unserer Abreise umgeben. So verbrachten wir auch den Abend mit ihnen bei einem Konzert “Rollis für Afrika”, wo unter anderem zwei Mitglieder der an sich hervorragenden Band Irie Revoltés spielten – dass die sich offenbar zum radikalen Teil der Antifa zählen, brachte uns dann jedoch davon ab, sie für unsere Sendung zu interviewen. Wir waren KO von der Fahrt und nur die anschließend zwischendurch gespielten Hip Hop Klassiker ließen uns noch auf den Beinen halten, ein wenig genervt waren wir aber irgendwann schon, dass der verplante Haufen nicht so leicht zum gemeinsamen Zurückkehren zu koordinieren war. Das WG-Frühstück vesöhnte uns jedoch schnell, und wir durften feststellen, dass wir in einer sehr amüsanten, lebensfrohen und angenehmen Gesellschaft gelandet waren. Marcel gab dann im Anschluss auch sein Bestes, uns durch die Stadt zu führen, über den Philosophenweg und die alte Brücke bis zum berühmten Heidelberger Schloss hoch, dabei wies er uns nicht nur auf die gewöhnlichen Sehenswürdigkeiten hin sondern auch, wo sich gleich mehrere Studentenverbindungen die Villen in bester Lage geschnappt hatten und von wo aus man Farbballons auf diese werfen kann, oder auch wie viel Geld die Uni für ein paar luxuriöse Toiletten in einem frisch renovierten Gebäude ausgegeben hat, anstatt dies für Professuren zu verwenden. Die Gesprächsthemen gingen uns jedenfalls nicht aus, und wir legten wahrscheinlich mehr Kilometer zurück, als Heidelberg lang ist, bevor wir noch eine Weile die Sonnenstrahlen auf der Neckarwiese genossen. Abends fuhr Torben dann ins nahegelegene Kaiserslautern, um Helena zu besuchen, die leider nicht die Zeit hatte, nach Heidelberg herunterzukommen, während ich spontanerweise am in der erwähnten Villa stattfindenden Poetry Slam teilnehmen konnte. Das Wetter spielte mit, und so war ein schöner Abend mit hohem Publikumsandrang und guten Poeten gegeben, und den Rest der Zeit verbrachte ich mit unseren Kommunenfreunden am Kaffeestand mit interessanten Gesprächen und guten Brownies. Natürlich wurde der Abend lang. Ein wenig schade deshalb, dass am nächsten Morgen nur Marcel es schaffte, mehr oder weniger zeitig aufzustehen und mit uns zu frühstücken, bevor wir schließlich unsere Sachen packten und nach Stuttgart aufbrachen.
Auch hier durften wir wieder mit der Gastfreundschaft eines Couchsurfers rechnen – Luke, der selbst nur ein Semester Chemie in Stuttgart studiert und dann wieder in die USA zurückkehrt, nahm uns in seinem Sutdentenwohnheims-Zimmer auf. Wir trafen uns im Stadtzentrum mit ihm, wo wir gleich nach einem ersten Spaziergang durch die Fußgängerzone auf eine Versammlung von Stuttgart-21-Gegnern trafen. Wie könnte es dieser Tage auch anders sein. Sehr interessant zu sehen, wie viele Generationen und sozioökonomische Klassen sich hier plötzlich für eine Sache vereinigen. Nach schwäbischen Spätzle erlebten wir dann gleich die gehobene Variante des Demonstrantentums: eine leider viel kleinere Gruppe demonstrierte für Freiheit und Demokratie in Syrien. Einer der jungen Demonstranten sprach uns an, ob wir Fragen zu der Thematik hätten, woraufhin ein älterer Kroate neben uns eine Diskussion startete, in die sich noch zwei weitere Passanten einmischten. Ein sehr schönes Beispiel lebendiger Politik-Kultur, auch wenn leider der Standpunkt des Herren (man benötige erst ein Programm/eine Agenda um effektiv etwas ändern zu können) mit dem unseren (zuerst benötigt man das Fundament einer funktionierenden Demokratie) nicht zu vereinbaren war. Ein Ziel der Demonstranten wäre jedoch trotzdem erreicht, nämlich eine gewisse Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen. Stuttgart-21 wirkte danach auch gleich viel banaler.
Nach so viel Stadtsicht, Diskussion und Umherlaufen war ein ereignisloser Abend in Lukes Studentenbude sowohl angenehm als auch angebracht.
Am Samstag hatten wir uns dann eigentlich vorgenommen, in das im Schwarzwald gelegene Wildberg zu fahren, um ein wenig Natur mitzukriegen. Nach einem zwischenzeitlichen Abstecher nach Metzingen, wo Torben in zwei der endlos vielen Outlet-Stores dem Shoppingwahn fröhnte, erreichten wir auch tatsächlich das durchaus beschauliche Wildberg – mussten jedoch nach einer Stunde feststellen, dass wir auf dem “Panoramaweg” außerhalb des Ortes nicht allzu viel der gewünschten Natur vorfanden, sondern stattdessen den Geräuschen von Autos und Hausbau aus dem im Tal gelegenen Ort nicht entkommen konnten. Ich will Wildberg gar nicht mal schlecht reden, aber wir hatten uns schon was anderes vom Schwarzwald vorgestellt. Wir zogen also unsere Deutschlandkarte zu Rate und entschieden uns kurzfristig, nach Tübingen zu fahren. Das vom Bordstein an instandgehaltene Universitätsstädtchen liegt ganz nah an der Grenze zu “zu geleckt”, herausgeputzt und aufgehübscht – und doch, was für ein herrlicher Ort, ein ruhig gelegenes Schloss, Kleinstadtatmosphäre-Fußgängerzone und gerade genug Studentenflair, um es nicht zu bieder werden zu lassen. Beschweren konnten wir uns jedenfalls nicht über unseren Tagesausflug, von dem wir erneut nach Stuttgart zurückkehrten. Hier trafen wir uns abends mit Luke und zwei Freunden Torbens, Baha und Michael. Auch wenn wir bei einem Frauenanteil von 1/5 es nicht allzu leicht hatten, in die verschiedenen Clubs reinzukommen, verhalf die geballte Ortskenntnis uns doch zu einer fantastisch Nacht, in den aufgrund des Christopher Street Days wahrscheinlich dreimal so vollen Bars und Clubs der Stadt.
Heute früh besuchten wir dann noch mit Luke zusammen das Mercedes-Museum, welches wirklich bemerkenswert gut gestaltet und organisiert ist, so dass selbst Nicht-Auto-Freaks wie ich begeistert werden konnten. Also zusammengefasst: Demonstrationen, Partys, Unistädte, nette Leute, schwäbisches Essen und schwäbische Mundart, Kultur, Natur, Hippies, Naturwissenschaftler, ein Poetry Slam und Konzerte
alles in einem Bundesland. Wer sagt, Deutschland sei langweilig?