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Reiseblog

Die Elbenfelsen von Meteora

Wenn die Nebelbank sich in dicken Schwaden um die Felsen von Meteora legt, sieht es ein bisschen so aus, als würden sie schweben. Nur ein Dutzend Meter Fels, weich auf einer Wolke liegend, gekrönt von einem jahrhundertealten Kloster, dass sich in präfaktischer Weise an den Stein klammert. Die offizielle Geschichte lautet wie folgt: Ein gigantischer See, vielleicht ein Meer, in prähistorischen Zeiten, wurde duch ein Erdbeben gespalten, so dass die Strömungen im abfließenden Wasser eine Reihe caspardavidfriedrichesker Felsen aus dem Sandstein grub, auf deren Spitzen im Mittelalter ein paar orthodoxe Einsiedlermönche ihre nur durch Strickleitern erreichbaren Klöster bauten.
Wenn man an einem verregnet nebligen Tag wie heute auf einem jener Sandsteinmonstren sitzt, möchte man lieber die anderen Geschichten glauben. Vielleicht spielen Elben darin eine Rolle, vielleicht ein Zeichner, dessen fantastischer Stift skurill schöne Bauten auf die Bergspitzen verstreute, ohne sich über Fragen der Machbarkeit oder der Naturgesetze zu scheren. Die Felsen selbst muss ein wütender Zeus in den Grund gespalten haben, heute Nacht wirft er ein blitzendes Spektakel über das große Tal, während ich mit zwei elbenartigen Hippies von den Felsen durch die Nacht stolpere. Wie um zu beweisen, dass dieses Wunder immer noch ihm gehört, und nicht den Touristenbussen an sonnigen Tagen.

Als ich in Kalambaka, der Stadt zu Meteoras Füßen, ankam, ahnte ich noch nichts von all dem. Als Tourist stieg ich in einem gemütlichen Hostel ab, wo die internationalen Reisenden sich am Abend Biere ausgeben und von ihren Abenteuern erzählen. Einen vollen Sonnentag hatte ich vor mir, und so konnte ich in Begleitung eines britischen Job-Dropouts, eines deutschen Physikers und eines griechischen Straßenhundes den Fußweg antreten, der zwischen den Bergen hinauf führen sollte. Der Pfad endete an steilen Steinen, die wir nicht als Ende wahrnehmen wollten – anders als der Hund, der uns noch 30 Minuten durch die zunehmend unpassierbarere Schlucht hinterherjaulte. Doch der Schein der ersten Kilometer trügte: einmal am Ende des Weges angelangt, führt eine breit befahrene Straße hinauf zu den 24 Klöstern, man kann sie einfach in seinem Auto oder dem Touristenbus abfahren, aussteigen, Fotos machen, einsteigen. An den strategischen Stellen werden Selfiesticks ausgefahren und Kameradrohnen gelenkt, vor den größten der sechs geöffneten Klostern verkauft man Souvenirs und Eiscreme.
Das alles klingt natürlich ein bisschen tragischer, als es ist. Der Hochsommer ist vorbei, ruhige Stellen finden sich, und überhaupt freut man sich im Ort eher über die internationalen Gäste. Einmal gehe ich in eine der Klosterkirchen, es ist ein reines Bilderbuch an den Wänden, und nur ein einsamer Mönch schwingt den Wischmob. Am Abend sitze ich zum Sonnenuntergang auf einem hervorstehenden Felsen, eine Straßenkatze klaut mir den Käse vom Brot, es ist still und schön und ein lohnenswerter Ausflug.
Aber für den Zauber musste erst das Wetter umbrechen.
Als morgens der Regen auf die Straßen des geschäftigen Kalabakas klatscht, lasse ich den Touristen in mir im gemütlichen Café zurück und werde endlich wieder zum Reisenden. Es ist nicht weit nach oben, vier Kilometer vielleicht, und der Nachmittag pendelt zwischen Schauern und Nebel; nichts, was ein Regenschirm nicht abhalten könnte. Und doch – die Busse sind verschwunden, nur ein paar Alleinreisende ziehen sich ihre Capes über und huschen auf die nebelumwaberten Felsen. Es ist dieses vermeintlich schlechte Wetter, das aus dem Reiseziel Meteora ein kleines Wunder macht. Wenn der Nebel sich vom Sonnenlicht gold färbt, um von einer Brise über die Sandsteinfelsenspitze geweht zu werden. Wenn die Bäume und Pflanzen plötzlich wieder Farben sprühen, und das Moos den Stein zu grünen Kuppeln macht. Wenn sich ein schmales Fenster zwischen den weißen Wänden tiefer Wolken öffnet und einen gelbleuchtenden Blick auf das Tal freigibt. Wenn die Felsen zu schweben beginnen.
Ich bin eigentlich schon auf dem Rückweg, als ich nur wenige Fuß von einem Pfad hinab einen versteckten kleinen Ort entdecke, mit dem vielleicht schönsten Ausblick der Welt. Ich bin nicht alleine hier, die beiden Elbenhippies haben ihn schon entdeckt, sie sitzen auf ihren Allwetterjacken und wundern ihre Blicke über die Landschaft. Als das Gewitter beginnt, fliegt bei jedem Blitz ein begeistertes “Wouh!” über unsere Lippen. Sie sind aus Schweden oder Frankreich, später bieten sie mir zum Aufwärmen noch einen Tee an ihrem Wohnwagen an, der auf halbem Weg zwischen Stadt und Bergen steht, und sie freuen sich, einen Menschen ohne Selfiestick zu sehen, der stundenlang mit ihnen auf dem Felsen sitzt und das Naturspektakel bewundert. “Kaum zu glauben, dass irgendein Mensch vor 500 Jahren auf die Idee kam, da oben seinen Tempel zu bauen”, sagt die eine, und wir erwägen Theorien von sich langsam auf- und abbewegenden Felsen, und einem sehr lange davor wartenden Mönch, der im geeigneten Moment sein Baumaterial hinübertragen kann. “Das halte ich für viel wahrscheinlicher als die offizielle Variante”, meint die andere und wirft ihren Dreadlockzopf über die Schulter. Einen kurzen Moment lang glaube ich, dahinter ein unnatürlich spitzes Ohr gesehen zu haben. Aber vielleicht war das auch nur eine merkwürdige Lichtspiegelung im diffusen Nebellicht von Meteora.

5 Antworten auf „Die Elbenfelsen von Meteora“

Golum, Seidenschwanz, Mythos, Märchen und Wunder – alles in allem -oder etwas davon; Zauber und Magie – wundervolle Schöpfung- herrlich, was du erlebst – und das ohne Selfie! Gott sei Dank!

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