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Deutschlandtour: Mecklenburger Seenplatte

Mecklenburger SeenplatteKontrast: 100%. Sonnenuntergang überm See statt Neonlichter, Vögelgezwitscher statt Menschenmassen, Grillen und Lagerfeuer statt Dönerbude. Auch das gehört zu Deutschland, und erfreulicherweise konnten Torben und ich dank der Gastfreundschaft von Ulrike und Marian Reinartz einen sehr schönen Aufenthalt in diesem herrlichen Ort an der Mecklenburger Seenplatte zu unserer Tour zählen. Fürstenberg, ein selbst zur Hauptsaison eher gemütlicher kleiner Ort, mag nicht viel mehr als eine nette Marktkirche zu bieten haben, doch was an Stadt fehlt, macht das Land mit Abstand wett. Montag machten wir uns mit dem Kanu auf, durchkreuzten zwei Seen und ein Stückchen Havel samt dem Fisch-Kanu-Pass mit seinen reißenden Fluten, gingen natürlich auch in den eiskalten Fluten schwimmen und entschieden uns spontan, uns die leerstehende Mischfutter-Fabrik, die den See säumt, aus der Nähe anzusehen. Fürstenberg MischfutterfabrikdBis aufs Dach des 42 Meter hohen Silos bahnten wir unseren Weg durch halbzerfallene Stockwerke durch Räume, in denen wir neben einer völlig intakten Schalttafel alles von 2006er Telefonbüchern bis zu SED-Direktivenheften aus den späten 80ern fanden, Regalschränke mit Tonbandaufnahmen und zurückgelassenen Ordnern, Spinde mit Pin-Up-Mädchen und DDR-Wandkarten. Der Geruch von Rattengift in der Luft, das Geräusch des vom Wind bewegten Wellbleches und knarrende Türen. Wir konnten uns kaum von diesem Prachtstück lösen, um zurück ins Hause Reinartz zu paddeln. Per Rad ging es weiter durch die Natur, eine alte Eisenbahnfähre am Wegesrand und zu viele Mücken in der Luft. Perfekter Abendausklang am Lagerfeuer mit Gegrilltem, Rotwein und langen Gesprächen bis in die Nacht, während die Fledermäuse nahezu lautlos über den dunklen See huschen.
Heute besichtigten wir dann die Gedenkstätte Ravensbrück auf der anderen Seite des Sees, wo die Nazis einst das größte Frauen-KZ des Landes betrieben, und vor allem politische Gefangene, aber auch Sinti, Roma und Juden aufgrund ihrer Abstammung in Verzweiflung und Tod trieben. All dies lässt sich kaum in angemessener Weise hier niederschreiben, doch ich möchte den Inhalt einer der Tafeln wiedergeben, der den wohl stärksten Impakt auf mich hatte:

Weihnachten 1944 bastelten einige der inhaftierten Frauen Puppen, um die nebenan internierten Kinder und Jugendlichen zu Weihnachten zu unterhalten – zuerst verbotenerweise natürlich. Überraschenderweise gestattete der Lagerkommandant auf eine mutige Anfrage jedoch tatsächlich, eine kleine Weihnachtsfeier für die Kinder durchzuführen: es gab ein Kasperletheater mit den Puppen, Musik, und einer der sonst gefürchteten Aufseher verteilte gar “Zuckerl” an die Kinder, und versprach ihnen eine glorreiche Zukunft im kommenden, erfolgreichen Nazideutschland.
Im Januar 1945 wurden mehrere Tausend Kinder aus dem KZ Ravensbrück zur Vergasung geschickt.

Es blieben kaum Worte, die im Anschluss gesprochen werden wollten. Still radelten wir zurück auf die andere Seite des Sees. Die Schönheit des Sees, die strahlende Sonne und die rauschenden Bäume brauchen eine Weile, um meinem Hirn erneut einzureden, dass diese Welt ein schöner, guter Ort ist. Wir sollten trotz allem nicht aufhören, ihnen zu glauben.