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Deutschland-Reise: Baden-Württemberg

Unterschiedlicher könnte sich der baden-württembergische Südwesten uns kaum präsentiert haben als in diesen drei Orten – Heidelberg, Stuttgart und Tübingen machten den zweiten Teil dieser Woche unerwartet abwechslungsreich. In Heidelberg nächtigten wir bei Marcel, einem äußerst liebenswürdigem Couchsurfer in einer 4×7-WG-Kommune. Wir trafen ihn an der Villa Nachttanz außerhalb Heidelbergs, wo er Mittwochs nachmittag einen Stand für “Coffee ohne Grenzen” aufbaute, ein alternatives Projekt mit Ziel eines ehrenamtlich-gemeinnützigen Cafés in Heidelberg. Durch den wahnsinnig autounfreundlichen Verkehr der Stadt (die übrigens kleiner ist als Halle! Wirklich!) kamen wir in seine Bude, und der alternative Hippie-flair sollte uns bis zu unserer Abreise umgeben. So verbrachten wir auch den Abend mit ihnen bei einem Konzert “Rollis für Afrika”, wo unter anderem zwei Mitglieder der an sich hervorragenden Band Irie Revoltés spielten – dass die sich offenbar zum radikalen Teil der Antifa zählen, brachte uns dann jedoch davon ab, sie für unsere Sendung zu interviewen. Wir waren KO von der Fahrt und nur die anschließend zwischendurch gespielten Hip Hop Klassiker ließen uns noch auf den Beinen halten, ein wenig genervt waren wir aber irgendwann schon, dass der verplante Haufen nicht so leicht zum gemeinsamen Zurückkehren zu koordinieren war. Das WG-Frühstück vesöhnte uns jedoch schnell, und wir durften feststellen, dass wir in einer sehr amüsanten, lebensfrohen und angenehmen Gesellschaft gelandet waren. Marcel gab dann im Anschluss auch sein Bestes, uns durch die Stadt zu führen, über den Philosophenweg und die alte Brücke bis zum berühmten Heidelberger Schloss hoch, dabei wies er uns nicht nur auf die gewöhnlichen Sehenswürdigkeiten hin sondern auch, wo sich gleich mehrere Studentenverbindungen die Villen in bester Lage geschnappt hatten und von wo aus man Farbballons auf diese werfen kann, oder auch wie viel Geld die Uni für ein paar luxuriöse Toiletten in einem frisch renovierten Gebäude ausgegeben hat, anstatt dies für Professuren zu verwenden. Die Gesprächsthemen gingen uns jedenfalls nicht aus, und wir legten wahrscheinlich mehr Kilometer zurück, als Heidelberg lang ist, bevor wir noch eine Weile die Sonnenstrahlen auf der Neckarwiese genossen. Abends fuhr Torben dann ins nahegelegene Kaiserslautern, um Helena zu besuchen, die leider nicht die Zeit hatte, nach Heidelberg herunterzukommen, während ich spontanerweise am in der erwähnten Villa stattfindenden Poetry Slam teilnehmen konnte. Das Wetter spielte mit, und so war ein schöner Abend mit hohem Publikumsandrang und guten Poeten gegeben, und den Rest der Zeit verbrachte ich mit unseren Kommunenfreunden am Kaffeestand mit interessanten Gesprächen und guten Brownies. Natürlich wurde der Abend lang. Ein wenig schade deshalb, dass am nächsten Morgen nur Marcel es schaffte, mehr oder weniger zeitig aufzustehen und mit uns zu frühstücken, bevor wir schließlich unsere Sachen packten und nach Stuttgart aufbrachen.
Auch hier durften wir wieder mit der Gastfreundschaft eines Couchsurfers rechnen – Luke, der selbst nur ein Semester Chemie in Stuttgart studiert und dann wieder in die USA zurückkehrt, nahm uns in seinem Sutdentenwohnheims-Zimmer auf. Wir trafen uns im Stadtzentrum mit ihm, wo wir gleich nach einem ersten Spaziergang durch die Fußgängerzone auf eine Versammlung von Stuttgart-21-Gegnern trafen. Wie könnte es dieser Tage auch anders sein. Sehr interessant zu sehen, wie viele Generationen und sozioökonomische Klassen sich hier plötzlich für eine Sache vereinigen. Nach schwäbischen Spätzle erlebten wir dann gleich die gehobene Variante des Demonstrantentums: eine leider viel kleinere Gruppe demonstrierte für Freiheit und Demokratie in Syrien. Einer der jungen Demonstranten sprach uns an, ob wir Fragen zu der Thematik hätten, woraufhin ein älterer Kroate neben uns eine Diskussion startete, in die sich noch zwei weitere Passanten einmischten. Ein sehr schönes Beispiel lebendiger Politik-Kultur, auch wenn leider der Standpunkt des Herren (man benötige erst ein Programm/eine Agenda um effektiv etwas ändern zu können) mit dem unseren (zuerst benötigt man das Fundament einer funktionierenden Demokratie) nicht zu vereinbaren war. Ein Ziel der Demonstranten wäre jedoch trotzdem erreicht, nämlich eine gewisse Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen. Stuttgart-21 wirkte danach auch gleich viel banaler. 
Nach so viel Stadtsicht, Diskussion und Umherlaufen war ein ereignisloser Abend in Lukes Studentenbude sowohl angenehm als auch angebracht. 
Am Samstag hatten wir uns dann eigentlich vorgenommen, in das im Schwarzwald gelegene Wildberg zu fahren, um ein wenig Natur mitzukriegen. Nach einem zwischenzeitlichen Abstecher nach Metzingen, wo Torben in zwei der endlos vielen Outlet-Stores dem Shoppingwahn fröhnte, erreichten wir auch tatsächlich das durchaus beschauliche Wildberg – mussten jedoch nach einer Stunde feststellen, dass wir auf dem “Panoramaweg” außerhalb des Ortes nicht allzu viel der gewünschten Natur vorfanden, sondern stattdessen den Geräuschen von Autos und Hausbau aus dem im Tal gelegenen Ort nicht entkommen konnten. Ich will Wildberg gar nicht mal schlecht reden, aber wir hatten uns schon was anderes vom Schwarzwald vorgestellt. Wir zogen also unsere Deutschlandkarte zu Rate und entschieden uns kurzfristig, nach Tübingen zu fahren. Das vom Bordstein an instandgehaltene Universitätsstädtchen liegt ganz nah an der Grenze zu “zu geleckt”, herausgeputzt und aufgehübscht – und doch, was für ein herrlicher Ort, ein ruhig gelegenes Schloss, Kleinstadtatmosphäre-Fußgängerzone und gerade genug Studentenflair, um es nicht zu bieder werden zu lassen. Beschweren konnten wir uns jedenfalls nicht über unseren Tagesausflug, von dem wir erneut nach Stuttgart zurückkehrten. Hier trafen wir uns abends mit Luke und zwei Freunden Torbens, Baha und Michael. Auch wenn wir bei einem Frauenanteil von 1/5 es nicht allzu leicht hatten, in die verschiedenen Clubs reinzukommen, verhalf die geballte Ortskenntnis uns doch zu einer fantastisch Nacht, in den aufgrund des Christopher Street Days wahrscheinlich dreimal so vollen Bars und Clubs der Stadt.
Heute früh besuchten wir dann noch mit Luke zusammen das Mercedes-Museum, welches wirklich bemerkenswert gut gestaltet und organisiert ist, so dass selbst Nicht-Auto-Freaks wie ich begeistert werden konnten. Also zusammengefasst: Demonstrationen, Partys, Unistädte, nette Leute, schwäbisches Essen und schwäbische Mundart, Kultur, Natur, Hippies, Naturwissenschaftler, ein Poetry Slam und Konzerte… alles in einem Bundesland. Wer sagt, Deutschland sei langweilig?

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