Das Terminal in Brüssel ist gestaltet wie ein Flughafen Sicherheitscheck, Passkontrolle, Boarding-Warteraum. Nach einiger Wartezeit wird dann endlich das “Gate” geöffnet, um den Weg freizugeben, zu einem so normalen Zug auf einem so normalen Bahngleis, dass der letzte IC in Oberfranken dagegen noch daherkommt wie ein Raumschiff. Nun gut. Der internationale Regionalexpress macht sich auf und ich fahre durch belgische und französische Landschaft zum großen Tunnel, der so unspektakulär daher kommt wie jeder Moseltaltunnel nur ein wenig länger geht. Eine halbe Stunde später sehe ich auf der britischen Seite des Kanals wieder Tageslicht, und werde von meiner französischen Sitznachbarin darauf hingewiesen, dass wir mitnichten schon in 10 Minuten in London sind, weil wir hier eine Stunde Zeitverschiebung haben. Ihr seht, ich bin gut vorbereitet: keinen Reiseführer gelesen, keinen Steckdosenadapter dabei, aber immerhin in Brüssel schon ein paar Euros in Pfund umgetauscht.
In London angekommen kämpfe ich mich durch den Nahverkehr aus Tube und Doppeldeckerbussen zu einer Kommilitonin Giovannas im Süden der Stadt, wo ich für diese Nacht unterkommen durfte. Der Plan, abends noch in Tanzveranstaltungen Londons Nacht zu sehen, geht irgendwo zwischen interessanten Gesprächen und (für England) erstaunlich gutem Bier unter, während die 7 (!) Katzen des im Industriezeitalterstil gehaltenen Hauses an den Fenstern miauen. Samstag vormittag holten wir zumindest ein wenig nach, gingen in den Greenwichpark und lächelten über die Touristen am Meridian, die hier “one foot in the west and one in the east” stehen. Die Aussicht auf London ist unterdes herrlich, viktorianischer Stil verbindet sich mit modernen Hochhäusern. Natürlich fängt es ein wenig zu regnen an, wir sind ja in England. Es fängt immer irgendwann zu regnen an. Wir gehen zu einer Markthalle, wo gleich zu Beginn ein brasilianischer Churro-Bäcker unsere Aufmerksamkeit fängt. Nachdem ich Constanze genug davon vorgeschwärmt habe, plaudere ich ein wenig mit dem Brasilianer, der einen iberischen Akzent im Spanischen hat, und freue mich dann wie ein Kind über die mit Dulce de Leche gefüllten Churros. Der Unterschied zu Lateinamerikanischen Märkten: als ich im Vorbeigehen aus Versehen an die Schulter eines Briten stoße, entschuldigt ER sich dafür.
Mit dem Bus (deutlich günstiger als die Bahn) fahre ich Mittags von London nach Broadstairs, einer 25.000-Einwohnerstadt im Südosten Kents, also gleichzeitig so weit südöstlich, wie es in Englang eigentlich nur geht. Als ich ankomme, regnet es. (Da das wohl noch häufiger vorkommen wird in den kommenden Einträgen, werde ich ab jetzt “es regnet” mit “”R”” abkürzen.) Ich finde die Wohnung meiner Hostfamily, wo ich die nächsten drei Wochen wohnen werde meine Hostmum Diana (kann ich mir einfach merken, meine Hostmum in Michigan damals heißt auch Diana) ist noch nicht da, der andere International English Student in ihrem Haus, ein Franzose mit entsprechendem Akzent, öffnet mir die Türe. Ich wohne nun in einem hübschen Zimmer mit Gartenblick, höre bei geöffnetem Fenster die Möwen. Diana (die uns sämtlich meist mit “Darling” und “Sweetheart” anredet) und ihr Sohn Neall sind furchtbar nett, beim Abendessen schwingen die Unterhaltungen von Rumblödeln zu Unterhaltungen über die Weltwirtschaft. Dabei ist interessanterweise der gerade 15-jährige Sohn am aktivsten. Ich schenke ihm mein kürzlich ausgelesenes Buch “23 Things they didnt tell you about capitalism”. Auf der Fensterbank stehen trotzdem Lego-Star Wars-Figuren von ihm.
Heute dann mein erster Tag im Hilderstone College, wo ich einen akademischen Englischkurs belege. Leider bin ich erkältet (im Juli!) und habe entsprechend schlecht geschlafen, meine Konversationsfreudigkeit muss erst durch Kaffee gepimpt werden. Nach allen nötigen Einführungen landen wir in einer netten Arbeitsgruppe und fahren nachmittags noch mit einer kleinen Bustour in die umlegenden Orte. Ramsgate, eine schöne Hafenstadt, wird uns nur für kurze Zeit überlassen (immerhin sehen College-Kollegin Maria und ich sowohl Innenstadt als auch Strand, durch zufälliges abbiegen auf unserer kurzen Streunerei), am Shopping-Centre wird fast doppelt so lange Pause eingelegt. Nicht wenige von uns Studienstiftlern finden das ein wenig schade drei zu spät zum Bus zurückkommenden Mädchen haben jedoch H&M-Tüten in der Hand. Manche Leute kann man so einfach glücklich machen. Mich auch, aber eher hiermit:
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