Die letzten 100 Kilometer haben mich weiter von Montreal weggebracht, als die blosse Nummer vermuten liesse. Jenseits der bilingualen Grossstadt ist die Kommunikation schwieriger, aber das Leben trotzem leichter. Mein schwer bepacktes Rad (zu viel Essen mit, musste ich noch ueber die drei Packtaschen draufspannen) in die Banlieu-Bahn nach Saint Jerome gewuchtet, liess ich die Stadt hinter mir, in der es mich noch bis Samstag frueh gehalten hatte – zu verlockend die Aussicht, noch einen Abend mit den Zimmernachbarn des Hostels feiern zu gehen (darunter sehr entspannt und umsonst am oeffentlichen Strand beim Clockhousetower), in den gut ausgestatteten Lebensmittellaeden im Plateau Zeug fuer unterwegs zu besorgen und mit dem Rad zur Westseite des Mont Royals zu fahren, um bei der Sacre Coer-esken Saint Joseph den Sonnenuntergang ueber der sich bis an den Horizont erstreckenden Metropole (da stellt man immer fest, wie viel groesser als der vielbefahrene, Metroerschlossene Innenstadtbereich so eine Grossstadt doch ist) zu beobachten.
Fuer die naechsten Tage sollte der “Petit Train du Norde” meine Strecke sein, und ich habe es bis jetzt nicht bereut, die Route diesbezueglich geaendert zu haben. Mitten durch die Laurentides schlaengelt sich diese ehemalige Bahnstrecke, die in eine grossteils von gruen umgebende Radstrecke verwandelt wurde, und auch, wenn gerade die ersten 60 Kilometer nahezu ueberwiegend bergauf gingen, war die Steigung doch verhalten, gemessen an der geologischen Region in der ich mich befinde. Am Samstag schaffte ich es so bis zum kleinen Staedtchen Val David, in dem man mir in Saint Jerome ein Hostel nur wenige Minuten vom Ortszentrum entfernt empfohlen hatte. Und tatsaechlich: als ich nach packen, Metro, Banlieu-Bahn und vierzig Kilometern (fast nur) bergauf radeln die Herberge erreichte, wollte ich meinen Augen kaum trauen – fuer weniger Geld als der naechste Zeltplatz bekam ich hier ein bequemstes Dormbett (war aber der einzige im Raum, also eigentlich ein Einzelzimmer) im rustikal gehaltenen Holzhaus mit Kamin, grosser Kueche zur Benutzung und Billardtisch im Keller, Haengematte im Vorgarten und Katze im Wohnzimmer… ich wollte gar nicht mehr hinaus! Bin ich dann aber zum abend doch noch, weil das Wetter so herrlich (und fuer morgen alles andere als sonnig angekuendigt) war, und ich doch noch ein wenig im trockenen das alternative Kuenstlerstaedtchen bewundern wollte. Ich sage ja gerne, die Kunst ist in der Provinz, und nirgends trifft das mehr zu, als in Val David. Nicht nur wegen dem sonntaeglichen Regen, sondern auch wegen dieser Atmosphaere blieb ich gerne eine weitere Nacht vor Ort, auch wenn die Mitgaeste am zweiten Abend nicht ganz so sozial-kuenstlerisch gesinnt waren.
Nur eine kurze Aufzaehlung, was Val David zum bisherigen Kunst-Stopp meiner Reise machte:
– Die Ausstellung “1001 Pots” von kanadischen Tonkuenstlern, die zu einer festen Instanz
geworden ist und eine Art Toepferszene hervorgebracht hat, die ihresgleichen sucht
– Der erste Abend im Hostel, an dem abwechselnd ein montrealer Akademikerpaerchen franzoesischsprachige Quebecker Singer/Songwriter Lieder auf der Gitarre coverten und ein Maedchen einer auf Reisen befindlichen Inuit-Gruppe Inuktitut-Volkslieder anstimmte
– Der Jardin du Precambrien (etwas ausserhalb der Stadt, so dass ich im Regen hintrampen musste, weil ich bei diesem Wetter keine Lust auf Fahrrad hatte), eine auf Nationalparkgelaende liegende Ausstellung, wo Kuenstler die Natur des Waldes zu Kunst werden liessen (kann man wirklich schwer beschreiben…)
– Nachdem ich abends auf ein Konzert in einer der Bars gewartet hatte (was schon nachmittags gewesen war) und gerade zum Hostel zurueck wollte, improvisierten einer der Toepfer (und gleichzeitig Gitarrist) und eine im Wohnwagen lebende Gitana (= Zigeunerin, wie sie sich selbst nannte, aber ohne negative Konnotation) mit fantastischer Gesangsstimme auf der Terasse des Lokals und luden mich dazu ein, so dass im Laufe des Abends eine Jamsession mit Trommel, Raps, Gesang und Gitarre entstand
Wer weiss, was noch passiert waere, bliebe ich laenger. Doch die Strecke rief mich weiter, und so stand der Montag unter sportlicherem Vorzeichen: nachdem ich mein Tagesziel, das 50km entfernte Mont Tremblant schon am Mittag erreichte (gut, ab Kilometer 70 verwandelte sich die bisherige Bergauf-Strecke in grossteils abfallendes Gelaende, ausserdem bin ich frueh losgefahren… hab mich trotzdem sportlich gefuehlt), und auch hier eine Jugendherberge fand, die preislich unter dem Campingplatz lag (krass, Kanada, krass!), ging ich erstmal eine schoene Runde im angrenzenden See schwimmen und trampte dann noch zum 3km entfernten Village am Fusse des gleichnamigen Berges. Eigentlich reizte mich die viel beworbene Zipline (was ich ja schon in Lateinamerika gemacht hatte), aber 100$ waren mir dafuer dann doch zu viel. Als ich feststellte, dass auch die simple Seilbahnfahrt von dem touristisch orientierten Village voller Restaurants und aufgehuebschter Haeuser bis zum Gipfel gut 20$ kostete (und die letzte Bahn hinab um 5 Uhr ging, so dass ich kaum eine Stunde oben haette. (Durch das Schwimmen und Trampen war es spaet geworden). Morgen sollte es aber bewoelkter werden. Also entschloss ich mich kurzerhand, ausgestattet lediglich mit der Jutetasche mit Wasserflasche, Sonnencreme und Kamera (und ein bisschen wander-ueberfluessigem Kleinzeug), stattdessen hoch zu laufen, dann koennte ich schliesslich so lange oben bleiben, bis ich sonnenuntergangsbedingt wieder hinunter musste. Das hiess: 2 Stunden hochlaufen, 1,5 Stunden (auf anderem Weg) wieder runter, da blieb mir oben letztlich auch nur eine halbe Stunde, wenn ich bis 8 wieder im Village sein wollte, aber gelaufen waere ich dafuer schon genug. Gesagt getan, und so erreichte ich nach einer herrliche Aussichten bietenden, aber furchtbar anstrengenden 6 Kilometerstrecke den Gipfel. (Fotos kann ich leider immer noch nicht hinzufuegen mangels SD Kartenslot). Passend um acht (ich bin echt zu deutsch manchmal) war ich zurueck und nahm den Bus zurueck zur Herberge, wo ich froh war, dass ich noch genug Leftoverfood vom Vorabend hatte, dass sich schnell erwaermen liess, so dass der Tag entspannt am See sitzend ausklingen konnte – und morgen geht es schon wieder weiter, wohin, das weiss ich selbst noch nicht so genau. Aber das sind ja oft die besten Tage.
Eine Antwort auf „Kunst und Sport“
Dann wünsch ich dir beste Tage, keinen Regen, bergab-Fahrten statt bergauf, Menschen, die singen, Lieder die klingen, Elche die springen- genau- gibt es sowas da auch in der Natur? Schon irgendwelche kanadischen Be-Sonderheiten an Tieren gesehn? Mit Ausnahme von Katzen im Wohnzimmer…
Sprechen die Kanadier jetzt nur französisch oder kommst du gut mit englisch durch? Müsste ja eigentlich gut gehen- USA liegt ja quasi um die Ecke…
Viel Kraft für weitere Touren und Haltestopps.
Lieben Gruß von deiner Nanni