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Die Musikstadt und die Inseln der Farben oder Als ich in der Arktis war

Fabelwald mit FlussFabelwald 2Fabelwald 1

Die Farne zu unseren Füßen sind rot, das Birkenlaub orange, saftig grünes Moos am Rande des eisklaren Bergbaches, rauer Fels zwischen dem matschigen Pfad auf dem wir laufen. Dann lassen wir den Fabelwald hinter uns und blicken, den steiler werdenden Fels hinaufsteigend, auf den langgezogenen Fjord hinab, in dem sich die 1000 orange-rot-grün-gelb-braun-weiß Farben des gegenüberliegenden Hanges spiegeln. Wir, Erdwind und ich, rufen alle zehn Minuten aus, wie schön es hier ist (häufigster Satz auf diesem Trip: “that’s beautiful man!”), lachen ohne Ankündigung laut auf, fallen uns in die Arme und kriegen das Grinsen nicht aus dem Gesicht. Wir sind auf den Inseln der Farben mitten im arktischen Zirkel Nordnorwegens, einem meiner neuen Top-3-der-Welt Orte auf meiner Liste, den Lofoten.
Trondheim Bakkelandet
Am vorletzten Freitag abend hatten wir die Bahn von Oslo nach Trondheim genommen, die alle gefühlen hundert Meter bei jedem Dorf hielt und entsprechend die ganze Nacht durch unterwegs war, der Schlaf war begrenzt, unsere Vorfreude trotzdem groß. (So groß, dass der Kolumbianer Erdwind dafür sorgte, dass wir ganze 2 Stunden zu früh am Bahnhof waren.) Wir erreichten die Stadt im Morgengrauen, als noch kein Café offen war und Wind und Regen durch die Straßen peitschten. Oh, was fluchten wir. Unsere Couchsurfer-Gastgeberin, die (fast) grenzenlose Ärztin und wahrscheinlich einige im Wohnzimmer tanzende Norwegerin, hatte erst ab 12 Uhr Zeit, und so trieben wir uns durch die Gassen, Rucksäcke im Schließfach, und freuten uns als die Sonne hervorkam. Nachdem wir mit zunehmender Begeisterung das alte Holzhausviertel Bakklandet entdeckt, Neustudenten beim Badewannen-Floßbau zugeguckt und in einer für die Stadtgröße überproportionalen Kathedrale (mit Orgel, die größer als manche Kapelle ist) Zuflucht vorm Regen gesucht hatten, trafen wir unsere Ärztin-Gastgeberin im Hafenviertel und entschlossen, beim noch (halb-)guten Wetter weiter draußen zu bleiben (mit kurzer Unterbrechung für ein Braunkäsesandwich und Schokolade): wir bestiegen die Festung und Graffiti und Gemeinschaftsgärtenstolperten durch das Graffiti-und-Gemeinschaftsgärten-Viertel Svartlamon. In ihrer gemütlichen Wohnung kochten wir das norwegische Nationalgericht Fårikål (Lamm-und-Kohl, der Name beschreibt’s treffend), und zeigten uns gegenseitig vorzeigbare Musik. Später wollten wir dann mit Freunden von ihr weggehen (die aber dann doch verhindert waren). Irgendwann, als wir die Hälfte aller existierenden Musikgenres durch hatten, kam ich von der Toilette wieder und Erdwind und die tanzende Norwegerin tanzten im Wohnzimmer Salsa. Das änderte sich den Rest der Nacht auch nur bezüglich der Musikreichtung und wir tanzten zu der wahrscheinlich merkwürdig-besten Musikmischung, die je an einem Abend gespielt wurde. RockheimAm Sonntag blieben wir dem Thema treu und besuchten das Rockheim (Pop/Rock-Museum), wo wir viel gute Musik aus Norwegen entdeckten und den ganzen verregneten Vormittag mit Schallplatten und digitalen Interfaces und Beats und Gesang und Gitarren verbrachten. Als wir aus den Tiefen der Musik ausgespuckt wurden, schien die Sonne und wir wanderten zum Strand an einem Gigaphon vorbei und mit Fjordblick, dann musste die tanzende Ärztin etwas erledigen während wir in “Annas Café” Calzone schlemmten, Sonnenuntergang sahen (nicht mehr im Café) und Kleinstadtluft genossen, um sie schließlich in der verwinkelten Buchbar wiederzutreffen. Der Abend klang aus mit meinen berühmten Schupfnudeln, Rotwein und tiefgründigen Gesprächen (werden eben langsam alt).
Am Montag sehr früh ging es dann mit der 10-Stunden-Bahn nach Bodø, wo wir dank kostenlosem Kaffee in der 90-Kronen-Luxusklasse, wunderbarer Aussicht bei herrlichstem Wetter und mitgebrachter Laptops unsere Uni-Essays schrieben, und eine Stunde vor Ankunft erschöpft abschickten.
Bodø von der Hotelterrasse
In Bodø, erklärte uns die in Halle studierende, Erasmus machende Couchsurfing-Gastgeberin und professionelle Dumpster Diverin, gebe es nicht viel zu sehen außer der Terrasse des Hafenhotels mit famoser Aussicht und ein haushohes Graffiti. Damit hatte sie, wie wir feststellten, leider Recht. Dafür machten wir Tortillas selber (ging wegen meiner Plastik-Challenge auch gar nicht anders) und verbrachten den Rest des Abends (abgesehen von einem Kurzausflug zu prallgefüllten Supermarkt-Abfallcontainern voller frischer Äpfel, Joghurt und zig Gemüse) damit, festzustellen, dass JEDE Fähre von Bodø gen Lofoten entweder ankommt, wenn es noch dunkel ist (3:00) oder schon (21:00). Nach tausend erwägten Möglichkeiten (Fähren, Rent-a-Wrack, Einwegmiete…) endeten wir mit einer 5-Tages-Miete, was wir irgendwie auch nicht bereuten. Und so starteten Erdwin, die entscheidungsschwache hallische Containerin und ich am Dienstag zu einem grandiosen Roadtrip auf, durch bergige Festland-Landschaft, einsame Straßen und stets begleitet von der Navi-Ansage “You are over the Speedlimit”, Wasserfälle. Sonnenschein. Pinkelpause, Seen, Vielfarbenberghänge und natürlich Fjorde – und eine 5-Minuten-vor Abfahrt Ankunft an der nördlichen Fähre Bognes nach Lødingen. Endlich auf der Inselgruppe angekommen, fehlte nur noch eine Stunde zur Ingemannhytta, wo wir die Nacht verbringen wollten. Doch der schmaler werdende Weg hinter dem uns unverständlichen, da norwegischen Schild wurde immer unzugänglicher und endete vor einer Schranke. Die Anwohnerin, die plötzlich samt Auto hinter uns auftauchte, (und offenbar nen Schlüssel hatte, da sie später in selbige Richtung weiterfuhr), meinte ja, der Weg geht da zwar lang, aber nööö, da dürfen nur Anwohner lang. Ihr müsst einmal drumrum fahren und die Straße von der anderen Seite nehmen. Machte ja nur 40 Minuten aus. Als wir endlich den Beginn des Wanderweges erreichten, war es 18:30 und die Dämmerung nahte. Wir waren kurz davor, im Auto zu schlafen, aber nein. Rucksäcke im Eiltempo packen und den Berg hinauf, und die eigentlich nur 40 Minuten Fußweg verschlangen sich in Matsch und Dunkelheit. Die Ingemannhytta von innen Ich war wohl nie zuvor so froh, eine Holzhütte durch die Dunkelheit blinzeln zu sehen. Die Hütte war klein (4 Betten) und unverschlossen, Feuerholz lag bereit und ein Gasherd erlaubte uns die verdiente Reispfanne, und schon bald saßen wir mit Ingwer-Zitronen-Tee und vollen Bäuchen vor brutzelndem Kaminfeuer, draußen die stürmische Finsternis und spielten Karten.
Und dann kam die Magie.
Als wir gegen acht kurz an die frische Luft gingen, zog Weiß über uns am Himmel auf. “Das sind Wolken”, meinte die Diverin, aber sie irrte. In den nächsten vier Stunden legte das Universum ein sich drehendes, bewegendes und wanderndes Spektakel über den Himmel, unter der sternenklaren Nacht zogen sich weiße Torbögen über uns auf, Strudel, flackernde Streifen, Fenster in das Universum und hinabfallende Himmel, wir lachten und weinten ein bisschen vor Freude und umarmten uns, Erdwind machte Millionen Fotos (die lade ich später noch hoch) die die Lichter in Farben erscheinen lassen, die unser Auge nicht zu sehen vermögen (dafür sehen sie die Schönheit der Bewegung, die sich nie festhalten lässt), und bedankte sich ebenso oft, dass ich ihn hierzu überredet hatte, und wir fühlten uns ganz klein und zugleich on top of the world, denn die Lofoten sind ja schließlich in der Arktis, und vermutlich werden wir diese Nacht der Nordlichter nie vergessen.
Die Ingemannhytta von außenContainerin bei FlussdurchquerungNordlofotenAuf dem plötzlich leichten Rückweg
Am Mittwoch wanderten wir den plötzlich so einfachen Pfad zurück, brachten die hallische Mülltaucherin zu einem Anhalter-Stopp und fuhren nach Südwesten gen Svolvær, von wo wir uns zur nächsten Hütte, der Nøkmannsættra aufmachten. Aus den angeblichen 2 Stunden wurden drei, dank steilem Fels und vielen Fotoplätzen, wackeligen Hängebrücken, erwähnten Fabelwäldern und schmalen Holzstegen über Sumpfböden, wachsrote Gräser und zu steile, mit den roten Wanderweg-Punkten versehene Felsabschnitte, bis wir schließlich wieder die tiefstehende Sonne westlich der Gipfel sahen, und nur wenig später mit Freudenschreien die Hütte, an einem wunderschönen Bergsee, mit Wasserfall und Sonnenuntergang, erreichten. Sie war etwas größer als die Ingemannhytta, und ein einsamer deutscher Wanderer mit Trockenkost-Abendbrot war schon da, der die (in dieser Nacht zugegebenerweise schwachen) Nordlichter sehr unspektakulär fand. Wir richteten uns ein, wuschen uns mit eisigem Bergseewasser und kochten Cashew-Pesto-Pasta im Licht der Kerzen, und Wasser über dem Holzkamin.
HängebrückeHolzplankenwegGebirgsbach und Erdwind im MärchenwaldHütte erreicht!WegmarkierungNøkkmansaetra im SonnenuntergangBergpanorama LofotenSchönste Klo der Welt

Hier blieben wir eine zweite Nacht, weil das Wetter am Tag verregnet und stürmisch war, und wir nur am Vormittag ein Zeitfenster (unterbrochen von einem Hagelschauer mit Schutz an der Felswand) nutzten, um noch ein Stück höher auf einen der umgebenen Gipfel zu klettern, von wo aus wir bis zum Meer und das daran liegende Svolvær blickten. Abends klarte es ein wenig auf, und tatsächlich hatten wir das Glück, auf unserer Hüttenterrasse liegend ein kleineres, aber trotzdem famoses Nordlichterspektakel zu bewundern.

Auf dem GipfelUnser HausseeNächtliches Kartenspiel
Gehacktes HolzJener Tag sollte jedoch Schlechtwettermäßig das Schlimmste bleiben, und wir kamen heil nach Svolvær zurück, von wo aus wir die pittoreske Inselstraße im ozeanischeren Süden samt Stränden und geschwungenen Brücken hinabfuhren. Unsere letzte DNT-Hütte (die norwegische Trekkinorganisation) dieser Reise sollte die Selfjordhytta sein, die wohl am einfachsten erreichbare Hütte der Organisation. Der 5-Minuten-Hike wurde wettgemacht durch fehlendes Feuerholz, so dass wir die nächste halbe Stunde mit Holzhacken verbrachten, bevor wir unsere Hütte heizen konnten. Trotzdem rafften wir uns vor dem Abend noch mal auf und durchstaksten das sumpfige Fjordland in Hüttennähe, hauptsächlich, weil wir uns nun ja schon ans Laufen gewöhnt hatten.
Erdwind auf dem Fels
SchmiedekunstGeschwungene Brücken im HintergrundNun war inzwischen Samstag, und unsere letzte Nacht wollten wir in Meeresnähe verbringen. So fuhren wir die letzten 20 Kilometer (sehr langsam, mit Stopp an jeder schönen Stelle, und davon gab es viele) zu dem Dörfchen mit dem wohl kürzesten Namen der Welt: Å.
Der schöne Ort Å
Dort teilten wir uns eine hübsche Kabine mit einem Fotografenpärchen und verbrachten den Nachmittag im ausgestorbenen Fischer-und-Touristendörfchen mit roten Rorbuern (Fischerhütten, die meist für Touristen vermietet werden), am arktischen Meer sitzendArktische See und in die Ferne starrend, ein wenig reumütig, diese herrliche Inselgruppe am nächsten Tag verlassen zu müssen.
Denn am Samstag sollte die lange Rückfahrt beginnen. Nach einer letzten kleinen 2-Stunden-Wanderung in die nahen Berge ging es auf die in der Hochsee schaukelnde Fähre, drei Stunden später dann in Bodø in die erste Bahn um am Montag (nach einem etwas längeren Stopp im herbstlich sonnigen Trondheim mit Laub spielend und sich Geschichten zu Leuten in der Fußgängerzone ausdenkend) auf die letzte Strecke nach Oslo – eine keineswegs einfache oder gar schnelle Strecke, aber doch jeden zurückgelegten Kilometer wert – denn wenn ich diesen Blog damit nicht zum Roman machen würde, könnte ich wohl noch Stunden schwärmen, von Fabelwäldern und Nordlichtern, Fjorden und Berghängen, Holzhütten und Meeresblicken.
Mein See, mein Boot, meine Lofoten

Eine Antwort auf „Die Musikstadt und die Inseln der Farben oder Als ich in der Arktis war“

Nicht dass du irgendwann dann doch da oben im kalten Norden bleiben magst…? so nett es sich auch anhört und so schön die Fotos auch sind. Deine Wanderungen tragen zum einen sicher dazu bei, dass Du fit bist für einen Weg wie den Jakobsweg- allerdings hast du wohl auch gutes Schuhwerk, sonst wäre das alles nicht zu leisten.
Danke für deine Reiseberichte und weiter viel Erfolg beim Kunststoff-Vermeiden…:)

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