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Naive Metapoesien der Einsamkeit Texte

Zwischen Ruinen

Ich finde das schön. Ich mag die Ruinen.
Verfallene Mauern, überwachsene Schienen
Bröckelnder Putz und knarzende Dielen
Kaputtes Gebäude, nur eines von vielen
Ich finde das schön. 
Komme ich in neue Städte, meide ich die Shopping-Meilen
Will nicht eine Minute in Palästen verweilen
Ich flüchte den Neubauten und schicken Cafés
Den Glanz-Opernhäusern und den Chansonniers
Ich suche den Dreck und vom Alter Zerstörtes
Ich lausch‘ dem Verfall und entdeck Unerhörtes
Häuser, wo Gespenster waren
Abblätternde Fensterrahmen
Wo der Staub unter den Sohlen klebt und Ratten ihr Revier markiern
Wo Spinnen Backsteinecken nur noch nach ihrer Manier verziern
Verführerischer Mangel, dank Schutt auf dem Boden
Türen ohne Angel schon kaputt und verzogen
Abgestürzte Kronleuchter, die längst nicht mehr halten
Eingefall’ne Decken unter morschen Dachbalken
Dort eine Glühbirne, kalt und zerbrochen
Verbogenes Metall und Graffiti auf den Wänden
Spürst die Korrosion der Zeit streicht dir rau auf den Händen
Hast den Moder schon beim Eintreten zu bald hier gerochen
Erkalteter Schornstein, kein Zahnrad bewegt sich
Ein ewiges Gemälde, denn ein Stillleben lebt nicht
Ich finde das schön

Eine Ruhe, die die Menschheit nie in Massen schafft
Die Ruine: ihre letzte Hinterlassenschaft
Selbst die schmutzigste Industrie, die finsterste Befestigung
Beendet als Ruine ihren Status als Belästigung
Morbide und schön, verdient sie Verstehen
Das Gedenken uns’rer Taten und mit Liebe zu sehen
Jede verbliebene Maschine redet dir ins Gewissen
Doch die Natur holt sich zurück, was wir ihr mühsam entrissen
Schau, wie das Moos in Büroräume wuchert
Der Villa-Empfangssaal von Gräsern Besuch hat
Der Brombeeren-Dornbusch im Tanzsaal verbreitet
Der Hauptstamm der Eiche Fabrikhall’n enteignet

Stell dir nur mal vor:
Eines langen Tages, wenn der Mensch sie verlässt
Hinterlässt er der Welt nur Ruinen als Rest
Zerbröckelnde Kirchen, Baracken-Paläste
Statt Herrscher-Podesten nur Bäume und Äste
Alles Leiden beendet, alles Streben erstarrt
Wenn letztendlich Bewusstlosigkeit nur verharrt
Wenn ich heute in Ruinen steh, 
Ist es das, was ich seh
Ein Augenblick von Frieden
Den wir bislang meist vermieden
Memento Mori, alles wird vergehen
Und verstehen: Wir sind alle nicht so wichtig anzusehen
Wie wir uns gern porträtieren mit der größten Vehemenz
Im Untergang liegt Freiheit und im Sterben Existenz
Und ich beschreib das nicht weil ich irgendnen Schock such
Bloß die Ruinen dieser Welt schreiben ein Logbuch
Von dem was einmal war, heute ist und letztlich sein wird
Wie ästhetisch gesehen, die Welt der Menschheit noch verzeih’n wird

Darum freund‘ ich die Ruinen an, nur sie bleiben für immer
Überleben jeden Großstadtglitzer, jeden Technikschimmer
Die Ewigkeit duftet nach Schimmel und Steinen
Nach staubigen Trümmern und alten Gebeinen
Und wenn es einen Gott gibt, der beim Sterben uns verließ
Dann liegt in solchen Gemäuern hier das Erden-Paradies
Vielleicht klinge ich zynisch, oder lebensverneinend
Aber sind das nicht die Dinge, die uns letztlich verbleiben?
Ohne Hähme und Sarkasmus oder Hohn
Ruinen als Vermächtnis uns’rer Zivilisation
Wenn man heute Griechentempel und Theater verehrt
Sind verfallene Fabriken dann als Werte so verkehrt?
Ja ich feier den Fall, in Ruinen verliebt
Uns’re Welt bleibt unendlich, solang es euch gibt