Kategorien
Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Elektro-U-Bahn-Späti-Duft


Jeder Bezirk dieser Stadt hat seinen eigenen Duft
Lauf ich durch meinen Kiez, klebt Shisha in der Luft
Backshops und Späti, Gras am Kanal
Am Leopoldplatz atme ich grad nicht nasal
U-Bahn voller länger nicht gewaschener Passanten
Die trotz 3-Minuten-Rhythmus noch durch Bahntüren rannten
Raucherkneipen, Knoblauchpizza, Hundestraßenkot
Alte Damen mit Parfüm vom Sonder-Angebot
Kottbusser Tor, Kreuzburger, Falafel
Hipsterkaffee und Club Mate auf Shuffle
Müggelseelaubwald und Stadtautobahn
Die BSR hat sich im Mülltag vertan

Oh ja, Stadtluft macht frei, und so sehr du auch müffelst
Kriegst du trotzdem nicht mehr als den üblichen Rüffel
Schlimmstenfalls hast du dein U-Bahn-Abteil dann allein
Denn gemeine Berliner sind ja eh schon gemein
Doch hat‘s eigentlich niemand je wirklich übel gemeint
Der Verein dieser Stadt fühlt sich halt darin vereint
Um im Lärm der Motoren irgendetwas zu hören
Muss man eben rumoren und motzen und stören

Und kommt das E-Auto letztlich als Straßengefährt
Dreht den Bass lauter auf, damit man euch bemerkt!
Ja, an Lautlosigkeit ist hier niemand gewöhnt
Denn alles hier wummert und kreischt oder dröhnt
Tegel über’m Kopf, Hand hoch, wink dem Piloten
Presslufthammer-Hausbau als harmonische Noten
Immer wenn mein Nachbar Sex hat, dreht er Technosounds laut
Wobei… auch wenn er kocht oder Fernseher schaut
Nie verzichtet er drauf – wenn er trinkt sowieso nicht
Was immer geschieht, am Schluss wird’s elektronisch
Das ist das Credo der Stadt, versichert wie Safe:
Erst kommt die Arbeit, dann kommt der Rave

Groß-Demonstration: am Schluss Elektronisch
Maifest in Kreuzberg: am Schluss Elektronisch
Grillen im Park: am Schluss Elektronisch
Ton-Töpferkurs: am Schluss meistens konisch
Hochzeiten, Partys: am Schluss Elektronisch
Mit Bike schnell zur Arbeit: am Schluss Elektronisch
Schnell shoppen gegangen: ein bisschen ironisch
One-Night-Stand Nächte: am Schluss Elektronisch (zumindest bei meinem Nachbarn)
E-Zigaretten: am Schluss Elektronisch
Geschlossener Kreislauf: am Schluss Elektronisch
Von vorn‘rein Elektro fast jedes Club-Lied
Selbst der Tür-Sound der S-Bahn ist Elektrobeat

Und wenn du jetzt denkst, wie soll sich das lohnen?
Wie kann man bei all dem nur stolz oben thronen?
Wie kann man dem Stress entgehen, sich selber schonen?
Wie kann man in diesem Moloch noch gut wohnen?
Dann lass mich dir sagen:
Du willst hier nicht wohnen.

Hier, wo Partybrüder und Krankenschwestern um fünf Uhr nachts die Bahn besteigen
Wo Dichtende und Dichte neben Clubboxen im Wahn verbleiben
Wo Straßentrinker und Street-Day-Paradisten ganztags ihre Fahne zeigen
Wo Tierschützer und Bauarbeiter schützend lenkend ihren Kran begleiten
Wo jeder letztlich Stammgast ist beim Späti seiner Wahl
Wo Flaschenpfand ne Spende ist, Hausnummern nur ne Zahl
(Wo du nie weißt, ob sie in dieser Straße zickzack sind oder Preußisch-Hufeisen
Muss das Wiederfinden eines Hauses stets Versuch bleiben)

Wo niemand seine Nachbarn kennt, doch jeder seinen Kiez
Wo Feierabend See-Geruch hat und den Klang von Beats
Wo tausend bunter Fäden sich zu einem Strang verweben
Man kann hier gar nicht wohnen.
Man kann hier doch nur leben.

Kategorien
Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Online-Architektin

Das ist Lea; neun Jahre, braunes Haar und kluger Blick
Schnelle Auffassungsgabe, und quer Lesen ist ihr Trick
Dass die andr’en ständig quatschen, nervt sie, und versteht sie kaum:
Sie könnt‘ stundenlang nur zuhör’n, gibt man ihr nen ruhigen Raum
Sie liest Bücher, wo die Lösungen erst weit hinten versteckt sind’
Sie mag Häuser und Computer – wird mal Online-Architektin

Denn die Schule gibt ihr alles, was das Lernen ihr erleichtert
Auditiv und visuell, wie nicht jeder das vielleicht hat
Ob Mathe, Physik, Deutsch, sie spielt darauf wie Partitur-
Schreibt Jahre später letztlich auch ein 14-Punkte-Abitur
Nur Englisch und Musik sind ihre großen beiden Schwächen
Doch dank Nachhilfe und Internet kann sie auch die noch brechen
Stipendium fürs Studium, sie weiß ja, wie das geht
Hörsaal so wie Klassenzimmer, wenn man nur den Prof versteht.
Geschickt und kann gut rechnen, und natürlich auch gescheit
Das ist Lea, zwanzig Jahre, und der Zukunft wohlgeneigt

Drei Kilometer entfernt:

Kategorien
Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Weltraum-Tierärzte

Das ist Jonas; neun Jahre, schwarzes Haar und kluger Blick
Wenn er bastelt, merkt man schnell, die kleinen Hände sind geschickt
Leichte Fehlsicht, daher Brille, doch sein Mund kompensiert
Wenn er redet, denkt er schneller, und ist hochkonzentriert
Wenn er sich vermalt, winkt er ab, sagt „am Papier lags“
Mag Eisbär’n und Astronauten, wird mal Weltraum-Tierarzt
Denn zuhause kriegt er alles, was er noch zum Lernen braucht
Ist er neugierig, erklärt man ihm Physik und fernen Brauch
Nachmittag im Zoo, Geburtstag im Planetarium
Jahre später geht er auf das Nachbarstadtgymnasium
War zwar nie der beste Schüler, doch er kann den Stoff kapieren
Ein paar Nachhilfestunden, und es reicht um zu studieren
Geschickt und kann gut reden, und auch ausreichend gescheit
Das ist Jonas, zwanzig Jahre, und der Zukunft wohlgeneigt

Drei Kilometer entfernt:

Kategorien
Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Brückentanz

Lucí tanzt über Brücken,
so als gäbe es den Regen nicht Weil von jenseits ihrer Zehen
Licht von unterhalb der Wege bricht Wo ihre Haut Asphalt berührt,
wächst Persischer Ehrenpreis
Und wenn ihr Blick gen Ferne schweift,
gibt er dir keine Schwere preis
Sie hat das Glück gefressen, Welt vergessen,
tanzt die Angst in ihren Schatten
Und sich selbst von dannen Foxtrott mit den Rotwildhunden,
Rumba mit den Ratten
Und Lucí, die steht in Flammen

Kategorien
Fast wahre Großstadtmärchen Ton und Bild

Straßenmusik Video

Ich habe da kürzlich nochmal einen Text hervorgeholt, den ich selbst schon fast vergessen hatte. Aber ich mag ihn immer noch:

Kategorien
Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Bahnsteig-Poesie

Langer Tag
in ‘ner Berliner Bibliothek
Tausend Bücher gewälzt, mach mich auf den Heimweg
Eine Stunde kann ich jetzt in diesem Rotz fahr’n:
S-Bahn Linie 7, Richtung Potsdam.
War sechs Stunden hier, ich war nicht nur fleißig
Jetzt ist dunkel draußen, grade Fünf Uhr Dreißig
Scheiß Winter. Derbe kalt, zieh die Mütze tief
Chucks aufgeweicht, weil ich grade durch ne Pfütze lief
Wie sich vor der Kälte schützen ließ? Steig in’ S-Bahn-Schacht
Kracht der Lärm der Stadt hinter mir herab in die Nacht
Es riecht wie immer: Großstadt-Dreck-Urin-Mief
Frag mich wie jedes Mal, was mich nach Berlin rief
Naja, die Bibliothek.
Egal. Ich schlendre zum Gleis
“Linie 7 hat Verspätung”, schon klar ich weiß
Will mich hinsetzen und warten wie sonst jeder
Es täte. Doch da steht ‘n Koffer aus Leder
Die Nähte: vergilbt. Und die Ränder: verwetzt
Den hat jemand offenbar kürzlich hier versetzt
Verlassen. Niemand um mich her, ganz alleine
Ich meine: ein kleines bisschen beunruhigend. Aber fein, ne?
Was soll das schon sein hä?
Ne Bombe auf’m leeren Gleis? Ich hör nicht’s ticken
Ich als Terrorist würd die sowieso eher nach Frankfurt schicken
Wär’s n Geigenkoffer könnte man mein Misstrauen verstehen
Zu viele Mafiafilme gesehen, ich würd sofort wieder gehen
Gleich kommt die S-Bahn, just in case, dass man mich rette.
Doch ich mach ihn auf – und es ist ‘ne Klarinette.

Kategorien
Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Stadtmalerei

Es war ein Event in Kreuzberg und ein Meisterabend.
Erholsam nach diesem Tag und auch den Geiste labend
Etwas Kultur und weil man morgen frei hat, Beats –
Jetzt noch ein Bier für den Weg zum Heimatkiez
Heiliger Duft auf der Zunge,
Eisige Luft in der Lunge
Junge schöne Menschen auf’m Nachtspaziergang
Kleine süße Kneipen, die sich sacht verziert ham’
Wenn die Stadt zur Ruhe kommt, kann man sie beinah mögen
Und nicht wie tagsüber denken, allen hier sei nach drögem
Jutetaschen-Einerlei. Denn seit um Acht verliert man
Langsam den Blick fürs Ganze. Berlin wird wieder kreativ
Und selbst der Straßenlärm verschwindet mit dem Tagesmief
Hier hält ein Pärchen die Hand,
Dort lebt von Freuden ein Mädchen
In Kreuzberg hat man sich lieb
Man hat sich wieder erkannt,
und geht mit Freunden zum Lädchen
Links läuft ein Rechter vorbei,
rechts ruft wer “haltet den Dieb!”
Man erinnert sich selbst, wie krass, hab ab und an Acht
Den Dieb zu halten: zu spät. Der Mann läuft zu schnell von dannen
Das Dunkel frisst die Gestalt und er taucht ab in die Nacht
Das Opfer sitzt auf dem Boden, und schiebt Papiere zusammen
Es war ein Becher voll Geld für ihre Straßenmalerei
Man will ihr irgendwie helfen, war ja quasi nah dabei
Kauft ihr ‘ne Pizza und ‘nen Kaffee denn die Nacht ist heute kalt
Für mehr bleibt grad nicht die Zeit, die Heimweg-S-Bahn kommt schon bald
Und dann geht man nach Hause. Gute Tat vollbracht?!
Fall in die warmen Kissen, bis irgendwann und gute Nacht…

Hmm.

Das hier ist die Geschichte, die man hört, wenn man bleibt.

Kategorien
Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Straßenmusik

Es regnet. Selbst die Graffity sind grau.
Die ganze Stadt wirkt bei dem Wetter wie noch grad im Aufbau
Man denkt hier bleibt man trocken, wenn man etwas an sich werkelt
Und bei Regen ‘ne Fresse zieht wie Angela Merkel.
Zwischen Neubau und Regenwolken verschwindet der Kontrast
Um dich zurechtzufinden brauchst du bald ‘nen Kompass
Selbst der Regen hilft dir nicht dabei mal klar zu kommn
Denn alles fließt davon, du fühlst dich klar benommen
Und aus der Regenrinne tropft es auf den harten Asphalt
Es ist kalt. Und ich denke nichts gibt mehr Halt
Laufe so durch die Straßen voller Monotonie
Doch horche auf: und ich vergess’ die Melodie nie
Ich seh ihn dort unter der Brücke, vertreib’ die Sorgen schon
Rap im Kop zu der Musik vom Mann mit dem Akkordeon:

Mr. Akkordeon und ich, da habt ihr sicher klar gecheckt
Wir bring’ die Oldschool zurück, das hier ist Straßenrap
Wir bleiben positiv, auch mit dem Hals in der Gruft
Machen wir Kopfstand: schon weisen die Mundwinkel in die Luft
Machen aus Chili Schokolade, aus Zitronen Limonade
Wenn wir fertig sind, schmeckt sogar Mensaessen nicht mehr fade
Denn ich fühl mich immer bester Laune, wenn ich diesen Sound check
Der Mann ist positiv wie Schlagersänger auf Crack!