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Öffentlicher Verkehr

Da ich hier ja jetzt lebe, und nicht (nur) Urlaub mache, gibt es tatsächlich einmal von letztem Wochenende nichts Spannendes zu erzählen – nein wirklich! Ich habe mich ein wenig über meinen Schnupfen geärgert (ist aber nicht schlimm), meine Demografia-Aufgabe erledigt und irgendwie einfach mal wieder entspannt (okay, Samstag war nach der langen Hochzeitsfeier erstmal lang ausschlafen angesagt, da war sowieso fast der ganze Tag weg). Es war also wirklich erstmals so, als lebe ich hier wirklich, ohne fancy-Urlaubserlebnisse, sondern ein alltägliches Wochenende. Muss natürlich auch nicht immer sein, darf aber ja auch mal. 😉 Da ich ausserdem festgestellt habe, dass ich im August durch meine Reisen viiieeel zu viel Geld verbraucht habe, ist das für mein Portmonaie auch gar nicht so schlecht.
Damit ihr euch aber nicht langweilt, gibts jetzt mal einen kleinen Guide für alle, die vielleicht mal hier vorbeischauen wollen (oder sich das besser vorstellen können wollen):

How To catch a bus in Lima
Hallenser lästern vielleicht hin und wieder gerne über die HAVAG (den halleschen Betreiber der öffentlichen Verkehrsmittel). Die waren aber in der Regel noch nicht in Lima.

CollectivosDie Busse sind hier genaugenommen nicht im eigentlichen Sinne öffentlich, sondern privat. Viele viele kleine Unternehmen betreiben mehrere Busse, die in der Grösse und Ausstattung zwischen VW-Bus aus den 70ern, altem US-Schulbus und “moderneren” Bussen variieren und meist bunt angemalt sind. Die Busse fahren stets eine Tour quer durch Lima; auf der Vorderseite finden sich meist Start- und Zielbarrio (Stadtviertel) so wie eine Liniennummer. Da gibt es allerdings seeeehr viele von, und man kann sich wahrscheinlich höchstens die Nummern merken, mit denen man regelmässig fährt (z.B. von zu Hause zur Uni). Da das alleine also nicht viel helfen würde (v.a. wenn man mal woanders hinwill), ist auf beiden Seiten eine Liste der grossen Strassen, die der Bus auf seiner Tour passiert, aufgemalt. Das sieht dann z.B. so aus:

Universitaria – Bolívar – Brasil – Grau – Abancay

Man muss also v.a. wissen, welche grosse Strasse in der Nähe des Wunschzieles liegt, und diese dann auf den Bussen suchen. Viele Strassen sind allerdings seeeeehr lang (die Universitaria dürfte über 50 cuadras (Blöcke) haben), und nicht alle Busse fahren zwangsläufig die ganze Strasse lang. Da hilft nur das Kürzel “Tdo.” (Todo=die ganze) auf der Seite vor dem Strassennamen, oder ein schnelles Nachfragen beim “Schaffner” – “Todo Bolívar?”

Die “Schaffner” üben übrigens gleich mehrere Funktionen aus. Während der Fahrer sich mal mehr, mal weniger auf den Verkehr konzentriert, steht der “Schaffner” an der Tür und schreit die Namen der angefahrenen Strassen heraus, damit die Passanten den benötigten Bus leichter finden. Erspäht er einen potentiellen Mitfahrer, klopft er zweimal auf die Busseite, damit der Fahrer anhält. Will man aussteigen, sagt man ihm z.B. “baja 15” (falls man in der 15. cuadra aussteigen will) oder “baja paradero” (bei der nächsten Haltestelle), oder auch “baja esquina” (nächste Strassenecke), oder was immer einem sonst so einfällt, was dann wiederum an den Fahrer kommuniziert wird. Irgendwann zwischendrin (spätestens beim Aussteigen) hält der Schaffner einem die mit Kleingeld gefüllte Hand schüttelnd hin, was als Hinweis zu verstehen ist, zu bezahlen – für Kurzstrecken (innerhalb der gleichen Strasse) 50 Centimo, für die meisten “normalen” Strecken S/ 1, für sehr lange zwischen S/ 1,20 und S/ 2 (Studenten mit Ausweis kriegen mit etwas Glück auf letztere Rabatt – ich habe kürzlich sogar von Barranco bis nach Jesusmaria nur 80 Centimo bezahlt). In der Regel halten die Busse überall, wo man es ihnen sagt, oder wo ein potentieller Mitfahrer steht – die Haltestellen sind nicht wirklich obligatorisch. Manche Unternehmen aber, wie z.B. die blauen Busse von “los Chinos” oder manchmal auch “Consorcio Vía” halten sich an das paradero-System und halten tatsächlich nur dort, wodurch sie natürlich schneller sind und dadurch mehr Kundschaft kriegen. Das gerade die kleinen Busse nicht sonderlich sicher sind, versteht sich von selbst – das auf die Fensterscheiben gemalte “salida de emergencia” (Notausgang) ist gerade bei den Micro-Bussen leicht lächerlich. Dass das System trotz allem funktioniert, verwundert manchmal.

Und worüber lästern wir so in Halle? An grossen Haltestellen gibt es elektronische Anzeigen mit Wartezeit in Minuten, an jeder Haltestelle einen ausführlichen Fahrplan aller Strassenbahnlinien, die nie im Stau stehen; die Bahnen sind in TÜV-geprüftem Zustand, schnell, pünktlich, zuverlässig und sogar umweltfreundlich. Okay, sie sind ein wenig teuer wenn man kein Semesterticket hat – aber wenigstens nach einem durchschaubaren System. Schaffner lassen sich recht selten blicken, wenn, dann nur zum kontrollieren der Fahrscheine (in Lima seltenst nötig). Die Bahnen kommen regelmässig, auf den wichtigsten Linien auch Nachts, und man hat fast immer einen Sitzplatz, und wenn nicht, dann meist über einen Meter Platz um sich (in Lima kann das schon mal bei einem Zentimeter liegen).

Aber die Limeños sind sich der Situation durchaus bewusst – noch vor wenigen Jahren gab es nicht mal Haltestellen, und die Busunternehmen müssen mittlerweile Fahrscheine ausstellen (was nicht alle tun). Seit allerkürzestem gibt es sogar den Metropolitano, einen modernen Zieharmonika-Bus, der durch das Zentrum, Miraflores, San Isidro und Barranco fährt (in Zukunft wird die Strecke noch nach Norden ausgeweitet) und dessen Haltestellen mittelweit entfernt sind (sehr praktisch für die langen Entfernungen), einem festen Fahrplan und einer eigenen Fahrspur für 75 Centimo – das ist geradezu revolutionär! (Ich bin noch nicht mit gefahren, kann also leider sonst noch nichts dazu sagen.) Die Micros, collectivos und sonstigen carros wird das wohl nicht verschwinden lassen, sie werden wohl maximal langfristig ihre Routen anpassen müssen – der Unterschied zwischen Lima und Halle wird also wohl erstmal bestehen bleiben… denn sonst würde sich vielleicht eine Fahrt in Halles Strassenbahnen so anhören:

“Grosse Ulli grosse Ulli grosse Ulli Steinstraaaasse! Steinstraaaasse! Grosse Ulli grosse Ulli! LuWu Steinstraaaasse! Zusteigen zusteigen zusteigen!” – “Steintor?” – “Ja ja Steintor, zusteigen zusteigen! Grosse Ulli grosse Ulli Steinstraaasse!” – Huuup (damit der Fussgänger schneller über die Strasse geht) “Halt Joliot Curie!” – “Halt am Joliot Curie!!!” Huuuup (damit der Stau vor der Bahn sich auflöst)”Steeeeeeinstraasse Steinstrasse LuWU!” Klopf Klopf! (damit die Bahn hält) – “Ganze LuWu?!” – “ganze LuWu ganze LuWu” – “Wasserturm?” – “Nee nee!” – Huuuuuuup Huup (damit endlich weitergefahren wird und weil es zur Reggaetonmusik passte) Quiiiietsch… “Steintor raus raus raus raus! Ganze LuWu LuWu LuWu Reileeeeeck!!!” …

Ach, und noch was, für alle, die in Spanien Spanisch gelernt haben: man sagt hier nicht “voy a coger un autobús”, wenn man mit dem Bus wohin fahren will, sondern “tomar un autobús”. coger ist hier ähnlich vulgär und bedeutungsgleich mit “ficken”… es lohnt sich also, auf seine Wortwahl zu achten. Sonst ist der Titel “Öffentlicher Verkehr” unter Umständen schnell auch anders zu verstehen.

6.9.2010, Lima

Anmerkung: Mittlerweile ist wieder ein bisschen was passiert: gibts im nächsten Beitrag!