Ich schwitze mehr als ich trinken kann. Den ganzen Nachmittag sind prallgefüllte Wolken am Himmel, doch es will einfach nicht regnen. Eine Dusche gibt es nicht, das Toillettenhäuschen ist mit einer niedrigen Klo-Schüssel ausgestattet, in die man Wasser aus einem Kübel zum Spülen schüttet. Von der open-air-Küche kommt langsam Geruch von Essen in unser spärliches Zimmer, was auch Zeit wird, mein Magen knurrt wie 100 Bären. Seit heute Mittag sind Jordan und ich durch den eigentlich kleinen Ort (3.000 Einwohner) San Basilio de Palenque gelaufen und ich unterhielt mich mit mehreren Leuten als Interview für meine Thesis, einem alten Mann, der so unverständlich über Mussik sprach, dass mir die Aufnahme kaum was bringt und hörten eine Gruppe älterer Männer beim Musikmachen zu. Jordan machte viele Fotos (aber mein Bloganbieter streikt noch immer, die werden alle nachgereicht), so dass ich mich zwischen und während der Interviews nicht darum kümmern brauchte. Hier hin zu kommen und so viele Gesprächspartner zu bekommen – geschweige denn eine private Unterkunft (Hotels gibts hier nicht) – wäre nicht möglich gewesen ohne Victor Cimarrá, einem Assistenten von Christian Cwik, der in Cartagena Geschichte lehrt und ein Bekannter meiner Zweitkorrektorin ist.
Gestern abend waren wir am Flughafen Cartagena angekommen und nach einem kurzen Blick in ein anderes Hostel doch in das gleiche gegangen, wo ich schon im Januar war (Hostal Española), wo wir freundlich empfangen ein Zimmer für 25.000 Pesos bekamen. Das selbiges erst um 10 Uhr abends fertig sein sollte (und natürlich erst später fertig war), dann schliesslich, als wir den Schlüssel bekamen, von einem Fremden okkupiert war, der aus seinem Dormbett geflüchtet sich einfach irgendein offenes Zimmer geschnappt hatte, nur nebenbei. Nach angenehmem Abendessen trafen wir uns mit Christian, der uns in einer Bar ein wenig über die Palenque-Geschichte erzählte. Wir liefen anschliessend noch ein wenig durchs Zentrum und freuten uns der schönen Altstadt bei Nacht, bevor wir ins Bett fielen. Heute früh, nach ungewollt deutschem Frühstück (es war einfach das Beste verfügbare), fuhren wir dann mit Christian zum Terminal, wo er uns in Victors Hände übergab. Im Grunde können wir uns auch nicht beschweren, er hat vor allem mir viel geholfen, aber seine Aussagen über die Bezahlung scheinen nicht ganz zuverlässig. Jetzt sind wir jedenfalls sehr KO, ich froh über viel Interviewmaterial, und unser Zimmer in Cartagena morgen wird uns wie purer Luxus erscheinen.
– 3.10.11 –
Gestern abend nach dem Abendessen gingen wir noch ein wenig mit Victor durch Palenque, wo wir in einer der kleinen Gassen auf eine riesige Musikanlage stiessen, vor der ein paar Palenqueros der überlauten Musik zuhörten und sich unterhielten. Victor erklärte, ja, das gehöre einem Palenquero, der halt ein Musikliebhaber ist. Reich sei er nicht, es gebe manchmal (in Cartagena) Leute mit solchem Equipment, die nicht mal den Bus nach Hause zahlen könnten (hier gibts keine Busse 😉 ). Prioritäten eben. Jordan und ich waren ziemlich fertig (ich v.a. vom vielen Reden) und so hielten wir es dort nicht lange aus, sondern chillten stattdessen den Rest des Abends in unserer Unterkunft.
Heute dann nach einer warmen, geräuschreichen Nacht (man hörte die Boxen bis zu uns)aufgewacht, erneut eine Dusche vermisst und uns dann sehr über Kaffee und Frühstück gefreut. Dann schauten wir mit Victor noch b ei der Schule vorbei, und ich bekam ein paar Gelegenheiten, die Palenquero-Sprache aufzunehmen, worüber sich mein Linguistik-Prof sehr freuen wird. Auf unserem Weg in die äusseren Bereiche des Dorfes, wo sich Indigene in Folge des Bürgerkrieges angesiedelt haben, beendete ein plötzlicher Regen unsere Suche nach der Rum-Produktionsstätte und wir machten uns auf den schlammigen Rückweg ins Dorf, da unser Bus nach Cartagena wenig später losfuhr. Vorher hatten wir noch eine Diskussion mit Victor über das ausgemachtee Geld (wie befürchtet), da natürlich (wie so oft hier) nicht ganz so viel inklusive war, wie es anfangs noch hiess. Sehr ärgerlich. Nach einigen Diskussionen brachte ich ihn auf eine mE faire Mitte. Das Ganze ist ein wenig paradox: das Dorf ist sehr arm, und ich würde mir als Europäer nach so einer Situation echt knauserig vorkommen – würde es um Geld für die dort wohnenden gehen. Tut es aber nicht, denn Victor lebt in Cartagena, nimmt an diversen wissenschaftlichen Projekten teil und sieht nicht so aus, als hätte er es nötig, den letzten Peso aus uns rauszuholen – und ich habe auch nicht das Gefühl, dass er das im Dorf verteilen wird. Ganz etwas anderes wäre es gewesen, ginge das Geld direkt an unsere Essensköchin zB (der ich zwar auch noch was gab, aber was eigentlich in dem an Victor bezahlten mit eingerechnet war). Denn an sich ist Palenque wirklich arm. Die Badezimmer erwähnte ich ja schon, gepflasterte Strassen gibt es nicht, gekocht wird unter einem nur spärlich bedeckten Bereich auf offenem Feuer und ein Zimmer mit mehreren Stühlen ist schon ein normales Wohnzimmer. Selbst der Fernseher fehlt, und das muss für Lateinamerika schon was heissen. Müll wird auf die Strasse geschmissen. Polizei gibt es nicht – hat ja auch 400 Jahre iohne funktioniert. Zweimal täglich verbindet ein Bus San Basilio mit dem Rest der Welt, sonst fährt man (wie wir auf dem Hinweg) per Motorrad zur nächsten Carretera (wo die Busse langfahren). Es gibt Forschritte, in der Schule gibt es neben der traditionellen “lengua” (Palenquero) als Unterricht auch Computer mit Internet, Hauswände sind inzwischen befestigt und die Dächer halten dem Regen besser stand als früher, seit knapp 25 Jahren gibt es auch Strom im Dorf. Aber irgendwie ist es – unabhängig von dem grossen Anteil an Afrokolumbianern – auch entwicklungstechnisch ein bisschen Afrika in Kolumbien.
Auf dem Rückweg nach Cartagena hörte der Regen dann kaum noch auf und wir fuhren durch wahre Flüsse auf den Strassen, in denen so manche Taxis zur Hälfte versanken. Woanders käme dies in den nationalen Nachrichten, hier ist das normal, wenn es mal viel regnet. Nahezu passend mit unserer Ankunft im Hotel hörte es wieder auf, so dass wir nach einer (göttlichen, wahrscheinlich besten meines Lebens!) Dusche hervorragend Essen gehen konnten (Hühnchen in Schwarzbeer-Sausse mit Kochbananen und Reis) und uns dann noch Cartagena bei Tageslicht ansehen konnte, wozu Jordan ja bisher auch noch nicht gekommen war. Die Meeresbrise von der Stadtmauer aus frischte uns zusätlich auf. Aber letztenendes: dauerhaft ist dieses Klima nichts für mich…