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Wetterfragen

“Da oben gibt es noch Schneestrüme!”, warnt der Münchner Yuppie, das Maß Bier in der einen und den Enzianschnaps in der anderen Hand. “Alles zugeist, und heute nachmittag hats gehagelt!”
Alma und ich sehen aus dem Fenster, wo tatsächlich gerade eine Regenwolke aufzieht Wir sitzen im Kärlingerhaus, einem großen Gasthof voller eng aneinanderliegender Matratzen, um so viele Wanderer wie möglich unterzubringen. Es ist eigentlich zu groß, um sich irgendwo zu verstecke, aber als wir heute nachmittag das Tal erreichten, an dessen Anfang ein Schild noch “10 Minuten” versprach, war nichts davon zu sehen gewesen. Kritisch hatten wir auf den verschlungenen Pfad geblickt, der auf der anderen Seite des Tals in den Bergen verschwand. Wie sich herausstellte, verbarg das Kärlinger sich nur auf beinah-mysteriöse Weise in der Seitenlage des Tals, und verdeckte selbst wiederum einen See. Wir waren gerade rechtzeitig angeommen, um dem ersten Regenfall zu entgehen, nachdem wir gute fünf Stunden lang erst auf den Halsköpfl, dann zum grünen und schließlich zum schwarzen See gelaufen waren. Ich war schwimmen, “Ist gar nicht kalt!”, hatte ich gerufen, “zumindest nicht so kalt wie ichs von nem Bergsee erwarten würde.” Als ich nach fünf Minuten Alma trotzdem nicht bewegen konnte, meinem Beispiel zu folgen, sprang ich mit eingefrorenen Gliedmaßen schnell wieder hinaus, füllte unsere Wasserflasche und machte mich mit ihm zusammen an den nächsten Aufstieg. Es war weit kürzer gewesen als unsere Eis- und Wolkentour am Vortag, aber eine leichte Wanderung sieht doch anders aus. Im Kärlinger sahen wir den Jungpastor und die Ergotherapeutin wieder, Camino-Flashback, Wanderern begegnet man immer ein zweites Mal. Wir hatten uns gerade auf die beinah schon bekannten Gesichter und entsprechende Gespräche eingestellt, da kamen die Münchner an unseren Tisch.
“Meine Ex-Frau hat mich ja mal fast umgebracht”, erzählte der Yuppie, der früher mal einen Bullie besessen hatte und dann mit Mannesmann das D2-Netz aufgebaut hatte bis er sich einen Porsche leisten konnte. ” Niemand hatte ihn danach gefragt, aber er war mit seiner Begleitung zusammen im Zimmer “Almrausch” untergebracht und verhielt sich entsprechend. “Die hat so Homöopathie gemacht und so. Irgendwann war dann die Kripo bei mir und sagte “sie sind nicht als Zeuge geladen, sondern als Opfer!”. Ich bin mir nicht sicher, ob er dazwischen noch Bestandteile erzählte, die der gesamten Geschichte mehr Sinn gegeben hätte, und nahm mir nur vor, die Finger von den Globuli des Todes zu lassen. “Da könnte man echt ein Buch drüber schreiben”, fand er, “willst du nicht mein Ghostwriter sein?”

Ich überschlug im Kopf, wie viel Schadensgeld er mir dafür zahlen müsste und lehnte dankend (aber ungehört) ab. Nun waren sie jedenfalls bei er Beschreibung der Ingolstädter Hütte angekommen, die sowohl sie, als auch Alma und ich für den nächsten Tag zum Ziel gehabt hatten. Die Ingolstädter Hütte ist eigentlich nicht weit vom Kärlinger. Zweieinhalb Stunden vielleicht, wenn man direkt geht und fit ist. Leider waren wir a) nicht mehr fit seit den letzten Tagen und b) nicht unbeingt in der Stimmung, weitere Eisfelder als Geh-Untergund auszuprobieren. Die Wettervorhersage tat ihr übriges. Der Münchner Yuppie vielleicht auch.

“Aber wenn wir stattdessen morgen schon runterlaufen nach Schönau, haben wir keine Unterkunft da”, wandte ich ein. Alma, dessen Füße zu seiner Entscheidungsfindung schon deutlich früher beigetragen hatten nickte nachdenlich. Das Problem war, hier zwischen den Bergen gab es auch nicht den Hauch von mobilen Internet, selbst normales Netz gab es nur, wenn die Wolken nicht zu dicht waren, an einem einzigen Punkt des Geländes. Immer wieder sah man Wanderer, die trotz Regen nach draußen gingen, sich einbeinig auf den Tisch stellten und ihr Handy nach links oben streckten in der Hoffnung auf einen Strich Empfang. So tat Alma es ihnen gleich, und schrieb seiner Verlobten, ob sie uns vielleicht eine Unterkunft für die nächste Nacht organisieren könne. Bis zum nächsten Mittag, an dem wir bereits auf dem hoffnungsvollen Abstieg Richtung Königssee befanden, kontrollierten wir regelmäßig sein Handy, bis wir endlich die begehrte Nachricht bekamen. Sie hatte tatsächlich im Touristenstädtchen zu Beginn der Hochsaison noch einen Tag vorher eine Unterkunft bekommen. “Alma, ich glaube du wirst eine Magierin heiraten”, sagte ich, und wäre er noch ein bisschen anfälliger für Kitsch gewesen, hätte er “ich weiß” gesagt.
Der Abstieg machte uns deutlich, wie viele Höhenmeter wir in den Vortagen erklommen hatten. Vier Stunden ging es ohne Pause bergab, eine Serpentine nach der nächsten, bis wir endlich das Türkisblau des Königssees durch die Baumwipfel schimmern sahen. “Seltsam, da sind wir so viele Tage drumherum gelaufen, und jetzt sehen wir ihn zum ersten Mal richtig”, stellte Alma fest. Wir kühlten unsere Füße im Wasser und genossen die Beruhigung, am Abend eine Unterkunft zu haben, bis ich auf die Idee kam, uns noch einen weiteren Anstieg hochzupeitschen. Zur Eiskapelle. Die natürlich deutlich weiter entfernt war als die prognostizierten 45 Minuten. “Vielleicht haben wir die Berchtesgadener Raum-Zeit-Disruption entdeckt”, meinte ich, und Alma stimmte mir ohne Vorbehalte zu. die Eiskapelle, eine nie schmelzende Eishöhle am Fuß des Watzmann, war noch so zugeist, dass man nicht hineinkonnte. Aber davorstehen konnte man, mit einem Blick, der auch in einem kanadischen Nationalpark stehen könnte. Naja, Bayern oder Kanada, so groß ist der Unterschied ja nicht.

Nach nur vier Tagen in der Wildheit der Berge kamen wir uns sehr deplaziert vor, als wir St. Bartholomä erreichten – eine mit Kirche versehene Halbinsel, die von den Königseer-Elektrobooten angefahren wird. Entsprechend wimmelte es von Touristen jeder Colour, im Biergarten, beim Fotos schießen, beim Herumwuseln. Wir standen dazwischen mit unseren Wanderstöcken und stinkenden Shirts und fühlten uns sehr, sehr anders. Natürlich würden wir uns schon am nächsten Tag wieder akklimatisieren, nach einer Nacht in richtigen Betten und einer warmen Dusche, mit Tagesspaziergängen und Seilbahn zum Obersalzberg-Dokumentationszentrum, mit Therme, mit bayrischer Hausmannskost und all dem, was Menschen im Urlaub so tun. Aber in diesen paar Stunden zwischen Bartholomä und dem Ankunftssteig in Schönau-Königsee, da waren wir ein bisschen aus der Welt gefallen, Alma und ich. Als spielte jemand im Zeitraffer die Menschen um uns her ab, in deren Mitte wir stehen, die Ruhe der Berge noch in den schmerzenden Waden. Wir begruben unsere Wanderstöcke im See und sahen den Bergen nach, die von einem Boot so lein wie die ausgestreckte Hand sind. “Nächstes Mal laufen wir den östlichen Teil lang, jenseits der Ingolstädter”, sagte ich fragend. Alma antwortete nicht, weil er seinen leicht geschwollenen Fuß massierte. Aber er sagte auch nicht nein.

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Durch Eis und Wolken

Des Königs See

“Bist du sicher, dass wir das trinken können?”, fragt Alma, als ich mit ihm neben einem Bachrinnsal an der Seite des Weges stehen bleibe. Er guckt skeptisch. Immerhin ist es ein Bachrinnsal neben dem Schotterweg.

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Wer wir sind und wo wir leben

“Kein Albanier mag Albanien”, sagt der Schüchterne, “Wenn ich könnte, wäre ich in Schweden.”
“Unsere Identität ist noch aus der Antike,” sagt der mazedonische Poet, “wenn andere da Probleme mit unserem Namen haben, ist das doch deren Problem.”
Gespräche hier gehen leicht in solche Richtungen. Wer wir sind und wo wir leben. Was ist kulturelle Identität? Und wie lange man als Gastarbeiter in Deutschland war.
Hier, das sind die letzten fünf Tage in Mazedonien und Albanien, und sie sind voll solcher Gespräche. Weil der Taxifahrer über seine Tochter spricht, die nach Dubai gezogen ist, um als studierte Ökonomin mehr als 250 Euro zu verdienen. Weil der in Deutschland wohnende Fußballtrainer im Bus mein Deutsch gehört hat und mich fragt, was einen Berliner in die albanische “Wildnis” verschlägt. Weil der Poet am Gartenzaun steht und den einsamen Wanderer auf einen Raki einlädt. Die letzten Tage waren voller spontaner Begegnungen und umgeworfener Entscheidungen. In a nutshell:

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Am Ende der Welt

Eigentlich ist es gar nicht so spektakulär. Ein Leuchtturm, ein Stein mit der 0 Km Angabe, ein paar Felsen die zum Meer abfallen. Ein Mann der Gitarre spielt, eine Gruppe Pilger, die Wanderstöcke und Nachrichten mit Überwundenem verbrennen. Ein Sonnenuntergang, der deutlich weniger beeindruckend ist als jener, den ich am folgenden Tag vom kleinen, halbvergessenen Strand zehn Minuten hinter meiner Herberge betrachte (siehe Fotos). Eigentlich ist es nur ein Kap, das genaugenommen nicht einmal das westlichste Europas ist.
Aber zugleich ist es auch das Ende einer langen äußeren und inneren Reise. Die letzten Schritte nach über tausend Fußkilometern von Frankreich bis an die spanische Westküste.  Der letzte  Schlag meines Bambusstockes Salvador auf den steinigen Boden. Das Ende der Erde: Kap Finisterre.

Die letzten Tage von Santiago nach Finisterre waren wie ein neugemischtes Kartenset –  Pilger vom Camino Francés, Portugués und Norte treffen plötzlich aufeinander, man tauscht die unterschiedlichsten Erfahrungen aus, während der Höhenweg über die letzten Berge führt. Ab und an treffe ich jemanden aus dem Norden wieder, wie den österreichischen Ökonomen, den ich erstmals in Colombres traf (noch in Asturien,  vor über 300km) oder die Hippiedame aus den ersten Tagen in Galizien, neue Leute tauchen wieder und wieder auf, wie der Tschechische Programmierer oder das Schweizer Paar. Nach einer langen Etappe mit Christiana (der ersten nicht-polnischen Pilgerin die  zumindest teilweise aus katholischen Gründen läuft) komme ich in Cee an, einer Stadt in der nicht mal die Schritte der Fußgänger und das Klacken von Wanderstäben die allgegenwärtige Stille stört. In der Herberge an der Quelle  spielen wir Durak, die Herbergseltern verwöhnen uns mit Selbstgekochtem und Abschiedsumarmung, die Schokolade mit Kondensmilch schmeckt bereits nach Schlussetappe. “Hast du mit deinem camino erreicht was du wolltest?”  fragt Christiana, weil sie selbst keine Antwort weiß.
Als wir am nächsten Tag die letzten Kilometer am Strand entlang laufen, antworte ich “Ja” und schreibe die Namen der Menschen, die diesen Camino zu dem machten, was er war, in den Sand. Wir essen mittag in “la Familia del mundo”, eine Empfehlung von Esperanza, Punks und Hippies mit Linsensuppe auf den Tellern, bunte Wände, laute Musik. Neben uns sitzt ein weinendes Mädchen. Sie ist aus Berlin und auch den Norte gelaufen, bringe ich sie schließlich zum reden, der Teller vor ihr ist voller Linsensuppe und Probleme, die hier nicht hingehören. Hat sie mit dem Camino erreicht, was sie wollte? Ja, deswegen weint sie. Ich bleibe zwei Tage in der Herberge da Sol y Luna, hinduistische Wandmalereien und Lagerfeuer, das beste Frühstück seit zwei Monaten, gemeinsames Abendessen im Garten, an der Wand steht “Das ist nicht das Ende, es ist der Anfang”. In den Straßen des kleinen Ortes am Ende der Welt treffe ich Canto wieder, Sorpresa ruft zufällig an, während die Sonne hinter dem Strand versinkt und die Wellen sich im Rot brechen. Ob ich erreicht habe, was ich vom Camino erwartet habe, fragt sie, aber was sind schon Erwartungen. Das räumliche Ziel zu erreichen, das ist leicht. Ein paar Berge, ein paar Landstraßen, Baskenland, Kantabrien, Asturien, Galizien, irgendwann ist es normal morgens aufzustehen, die Füße zu tapen  und loszulaufen, bis man eben am nullten Kilometer ist. Verändert man sich dabei? Kehrt man anders zurück? “Nur wenn man kein Schmalspurpilger ist”, würde Canto sagen. “Das werde ich erst zuhause wissen”, würde Busqueda vermuten. “Hoffentlich” meinte Esperanza.
“Ja”, antworte ich, schreibe “gracias” in den Sand und lasse das Ende der Welt hinter mir.

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Highway nach Santiago

 

Auf der Plaza vor der Kathedrale strahlt die Sonne auf das Kopfsteinpflaster, einzelne Pilger und Touripilger-gruppen durchschreiten die Pforte. Jeder erreicht Santiago auf eine andere Weise. Dutzende, hunderte Menschen kreuzen den Blick, das allübliche “Buen Camino”  wird durch ein “Bienvenidos”  abgelöst. Da sind jene mit den kleinen Rucksäcken, die die letzten 100 Kilometer in Turnschuhen abliefen, das Gepäck im Taxi transportiert, “We are the Champions” singt eine Gruppe vor der Kathedrale. Da sind die Radfahrer, die einen zum ersten Mal nicht aus dem Weg klingeln, sie steigen kurz ab für ein Selfie. Und da sind jene trotzdem noch viele, die den Camino Frances, und wenige, die den Camino del Norte durchpilgerten, besonnen an die schattige Mauer gegenüber gelehnt, den Rücken an den kalten Stein, verloren in ihren Erinnerungen an die letzten Wochen und Monate. Als ich mit Canto und den Gutgelaunten die Plaza betreten, höre ich ein schrilles Aufrufen vom anderen Ende. Colín, die nach dem ersten gemeinsamen Abend im Bisonte weiterzog, kommt auf mich zugerannt, der kleine Rucksack-Berg, den sie mit sich rumtrug, liegt an der Wand. “Ich will gleich nach Finisterre weiter”, erzählt sie, gestern sei sie angekommen, sie ist das am längsten bekannte Gesicht was ich in Santiago treffen soll. Wir essen überteuerte Churros in einem Luxuscafé, in Santiago kennt man selbst hier den Geruch frisch-angekommener Pilger, auch wenn ich seit gestern das Gefühl hatte, inzwischen zu einer Minderheit zu zählen: In Arzua bogen wir auf den Highway der letzten 100 Kilometer Frances ein, “Schmalspurpilger”, lästert Canto, “Tourigrinos” (angelehnt an “Peregrino” = Pilger) betiteln Graffitis auf Wegsteinen sie. Mein leichtgepackter Rucksack zählt plötzlich zu den Schwergewichten, pfeifend laufen Canto und ich den einfachen Weg an sich voranschleppenden, geführten Reisegruppen vorbei, nichts gegen Wandertourismus, aber von Pilgern hat das nichts mehr. “Buen Camino!”, flöte ich, eine Gruppe japanischer Touristen macht ein Foto von uns, ein paar Leute hassen uns für unser Schritttempo. (Aber sicher nicht so sehr wie die laut klingelnd, rücksichtslos an einem vorbeizischenden Mountainbiker.) “Soll ja jeder seinen eigenen Camino laufen,” gesteht Canto ihnen zu, “aber wer ihn so läuft, hat sich nachher wahrscheinlich nicht verändert.” Nach 20 Kilometern steigen die “Partypilger” mit Boombox und Schnapsflasche in privaten Herbergen in Pedruzo ab, wir laufen weiter, der Weg ist plötzlich wieder leer. Nach 36 Kilometern kommen wir in Monte de Gozo an, wo wir die letzte Nacht vor Santiago mit den Gutgelaunten verbringen.
Und dann also Santiago. Für viele ist der Weg hier zu Ende, ich verabschiede mich von dem ein oder anderen bekannten Gesicht. Wir gehen in die Pilgermesse, der Weihrauch schwenkt neblig über unsere Köpfe, irgendwo unter uns liegt angeblich ein Apostel begraben.  Eine Nonne singt, es ist der ansprechende Teil der Messe, der Priester redet über Katholizismus.*

Was bedeutet es, in Santiago angekommen zu sein? Die plötzliche Erleuchtung beim Anblick der Kathedrale? Die Befreiung der Sünden beim Durchschreiten eines Tors? Das langerkämpfte Ende einer Reise? Was macht das mit einem?

Die Erleuchtung war ja viel mehr in der Suche als im Ziel, würde Busqueda vielleicht sagen. “Erwarte nicht zu viel von Santiago, der Weg geht ja noch weiter”, meinte Esperanza. “Lass dich überraschen”, schreibt Sorpresa, und Canto singt den passenden Ohrwurm dazu, während die Gutgelaunten uns Wein auf der Terrasse der Ferienwohnung in der Rua do Franco einschenken. Die Souvenirverkäufer verkaufen Jakobsmuscheln und der Turm der Kathedrale verschwindet hinter einem Baugerüst. In einer engen Seitenstraße hinter der Plaza leuchtet ein kleiner gelber Pfeil auf dem Pflaster, immer Richtung Westen. Wo es weiter geht. Zum Ende der Welt.

* was der Priester hätte sagen können : wie der camino uns gelehrt hat, aufeinander Rücksicht zu nehmen, wo alle mehr geben als nehmen. Wie wir uns auf das Wesentliche konzentrieren konnten, uns vom materiellen  verabschiedeten und den Wert freiwilliger Hilfe oder einer kleinen Geste erkennen. Wie fragil und schützenswert unsere Welt ist. Und wie schön es wäre, das alles, gelernt auf der Universidad de la Vida, in unser normales Leben mitzunehmen. Padre Don Ernesto hätte das vermutlich gesagt. Zum Glück gab es einen kleinen Pilgersegen, 20 Pilger in einer Seitenkapelle, nachdem die Massen die Hallen verlassen haben. Wir reden über all dies, übersetzen es uns in fünf Sprachen, vier polnische Pilger singen zum Schluss das Lied der Pilger. Ihre Stimmen verbreiten sich langsam unter der Kuppel wie zuvor der Weihrauch aus der Butafumeiro eine zweite Luftblase, die uns behutsam umfängt. Dass irgendwo unter uns ein Apostel begraben liegt, ist ihnen wichtig, aber irgendwie auch sehr unwichtig.

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Herbst

 

An dem Tag, als ich “O Bisonte” verließ, warfen die Bäume ihre Blätter von den Ästen. Wer weiß, wie viel Tage tatsächlich vergangen waren, für die Wälder und das Land um mich her müssen es Wochen gewesen sein: Plötzlich war es Herbst. Wenn ich morgens, geweckt von unverbesserlichen Frühaufstehern, die Herberge beim ersten Morgenlicht verlasse, hängt der kalte Nebel zwischen meinen Fingern, und bis die Sonne für die ersten angenehmen Temperaturen gesorgt hat ist der zweite Weg-Kaffee getrunken. Zusammen mit Canto und den beiden ewig Gutgelaunten* (die 15 Kilometer nach dem Bisonte auftauchten und seither für schwarzen Humor und umgetextete Lieder von Canto sorgen) erklimme ich den höchsten Punkt des Camino del Norte (eine unspektakuläre Landstraße auf 700 Metern) und unterschreite die 100-Kilometer-Marke auf dem Weg nach Santiago (ein unspektakulärer Wegstein dem man die goldene Plakette stahl), während um mich das Land zur herbstbraunen Hochebene wird. Der Name der Malerin vom Bisonte öffnet mir die Türe zum Atelier des Bildhauers Ché, der uns bei einem eingeladenen Wein von falschgeschriebenen Guidebooks erzählt, und sichert uns eine Unterkunft und geschenkten Schnaps in der familiären “A Lagoa”. Zu wenig Zeit für zu viel Garten. In der Gruppe der Gutgelaunten läuft es sich schneller, nach 33 Kilometern ist trotzdem abend. Aufstehen, Kaffee, weiterlaufen, verwundert die Pilger beäugen, die ihr Gepäck im Taxi transportieren lassen um die 100 nötigen Kilometer für die Compostela abzulaufen. Manchmal spüre ich das Gewicht meines Rucksacks gar nicht mehr, manchmal laufe ich wie in Trance, keine Gedanken, einfach den Pfeilen hinterher. Wir halten an und pflücken Brombeeren fürs Abendessen, Canto pfeift einen Schlager, er mag keine Schlager, “aber Udo Jürgens ist doch fast schon ein Chansonier”. In einem riesigen Kloster, in dessen Kathedrale sich der Hall eines gepfiffenen Liedes an den moosbewachsenen Wänden spiegelt, machen wir Pfannkuchen mit Schafskäse und Brombeeren, die sich außerdem hervorragend mit Guajada und Dulce de Leche zum Nachtisch mischen lassen, und genießen die Ruhe. Vielleicht zum letzten Mal. Denn der nächste Stopp ist Arzua, jene Stadt, in der der Camino del Norte für die letzten 40 Kilometer mit dem sieben-Mal so häufig bewanderten Camino Frances zusammenstößt. Es ist Herbst, ich ziehe meinen Fließpulli an und lasse Canto und die Gutgelaunten ein wenig voranziehen. Die letzten Schritte auf dem Kies der Nordroute verdienen ein paar Atemzüge Einsamkeit.

*die selbsttitulierte Lachhure und die stets angepisst Schauende, die aber eigentlich ganz gut drauf ist

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Das Haus der Malerin und der Regen

Der galizische Regen prasselt aus allen Wolken, die der Himmel hat aufbringen können, die Schuhe sind nass, feucht klebt das Regencape an den Beinen. Kaum hatte ich zusammen mit Daría auf der Autobahnbrücke Asturien verlassen und das westlichste Land Spaniens betreten, zogen die ersten Wolken auf und begleiten mich nun seit zwei Tagen mit vernebelten Aussichten und Shirts, die nun eben nicht mehr schweiß- sondern regennass sind. Als wir heute mit Colín, die mit ihrem übergroßen Zelt unter dem Regencape wie ein kleiner Berg aussieht, in Mondonedo ankommen, flüchten wir uns in das erstbeste Café gegenüber der eindrucksvollen Kathedrale. Puddingdicke heiße Schokolade mit unten abgesetzter, gezuckerter Kondensmilch schmeckt erst richtig nach Glück, wenn vor einem der Regen auf das Kopfsteinpflaster prasselt. Colín kauft sich einen Flummi im Automaten und lässt ihn so lange auf dem Tisch hüpfen, bis ein kleine Delle entsteht; sie ist einer dieser Menschen, die man gleichzeitig amüsant-sympathisch findet, während sie einem tierisch auf die Nerven geht.
Irgendwann haben wir uns genug gedrückt, und machen uns durch den Regen auf, die letzten (wenigen) Kilometer für heute zu bewältigen. Mitten in den Bergen, während der Fuß durch Pfützen und die Laune durch aufmunternte Lieder stapft, erreichen wir das Haus der Malerin, “O Bisonte”. “Gebt mal eure ganzen nassen Sachen her, ich hänge die mal auf”, begrüßt sie uns, ihr T-Shirt ist dreckig, ihr Gesicht offen, in der warmen Küche dampft Eintopf für den Abend. Auf dem Speicher ihres Steinhauses, wo uns dunkles Holz und harter Schiefer vor dem Regen schützt, erwarten uns heimelige Betten, ein Apfel zur Begrüßung auf der Decke, zwei schnurrende Katzen um die Beine. “Verzeiht die Splitter in der Treppe, das will ich noch renovieren”, entschuldigt sich die Malerin, sie entschuldigt sich für vieles, das uns nicht mal aufgefallen wäre. Seit wann sie das Haus Pilgern geöffnet habe, frage ich, “Schon immer, seit ich es vor drei Jahren gekauft habe,” kommentiert sie nebensächlich. Jeder spendet was er kann, Mosaike in der Dusche und selbstgemalte Bilder an den Wänden; ich fühle mich ein bisschen wie in der Hippiekommune in der ich einst zum Kindergarten ging, nur ohne die Hippies. Schade dass Bettwanzen-Bo* nicht hier ist, er würde erfreut feststellen dass die Biester hier noch nicht angekommen sind.
Die Malerin ist grummelig liebenswürdig, sie bietet mir an noch länger zu bleiben. Während die Wolken sich ausschütten, knistert drinnen der holzofen, ich helfe beim Ausbau des neuen Bads und der Übersetzung eines Begrüßungstextes, zwei Tage später ist eine kleine Familie geblieben, die Malerin, die spanische Pilgerin Esperanza und ein  italienisches Paar, dass vor einem halben Jahr für einen Tag und etwas Hilfe beim Ausbei vorbeikam, der bis heute andauert, und ich. Es sind zwei Tage mit vollen Tischen, Tee im Garten, auffliegenden Ascheflocken aus dem Ofen, italienischen Filmen, Besuche von Nachbarn mit Dudelsack, Schubkarren und Feuerholz. Als ich und Esperanza weiterziehen, lassen wir ein bisschen aufgestapeltes Feuerholz und das Gefühl von Zuhause zurück. In meinem Rucksack liegt der Apfel vom Bett und eine Flasche voller neuer Energie.

Und eins noch:

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“Ich schreite zehn Schritte voran, und der Horizont zieht zehn Schritte weiter.
So viel ich auch laufe, ich erreiche ihn nie.
Was bringt dann noch die Utopie?
Das bringt sie: voranzuschreiten.”
(graffiti in Ribadeo)

*Seit irgendein Pilger vor zwei Wochen die ersten Bettwanzen in eine Herberge einschleppte, verbreiten sie sich in den Rucksäcken der Pilger über die Schlafplätze. Wer bei Verstand ist, stellt seinen Rucksack nicht mehr aufs Bett, guckt vorher nach schwarzen Flecken und schmeißt seine Wäsche etwas öfter in die Maschine. Und dann gibt es da noch den kroatisch-deutschen Militärsanitäter und seit neustem Bettwanzen-Spezialist Bo. Nach seinem ersten Befall verbrachte er eine halbe Nacht an der Waschmaschine, in jeder Herberge wo ich ihn treffe inspiziert er 20 Minuten Bettrahmen und umgebende Wände. Nach Ribadeo läuft er Daría und mir über den Weg, “hatte sie im Rucksack”, sagt er zerknirscht, die Bugspray-Dose noch in der Hand. Jetzt hat er sich ein Zelt gekauft, und während die Regensturzbäche auf unser Dach prasseln, kuschelt er sich in sein bettwanzenfreies Zelt.

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Ciudad de Reencuentros

“Das ist eine gute Stadt”, sagen sowohl mein Gefühl als auch Reflection* neben mir. In einer neuen Stadt zu Fuß anzukommen, hat etwas Besonderes. Nach einer langen Etappe durch die Vorstädte und Gewerbegebiete gelaufen verdichten sich die Häuser, die Straßen werden enger, und plötzlich zeigt sich, von einem Hügel kommend, der fantastische Ausblick auf die Dächer der Hafenstadt Luarca. Ich habe ein gutes Gefühl, als wir zu den Klängen einer Feier eines Barrios an den Hängen die Stufen in die Kleinstadt hinabsteigen, Katzen neugierig unseren Schritten folgend. Auf dem Weg hierhin bin ich Reflection und seinem Arbeitskollegen begegnet, mit denen ich einen angenehmen Abend in der vorigen Herberge verbracht habe. Zusammen mit ihnen stromere ich durch die Stadt der Wiederbegegnungen: die amerikanischen Theologinnen vom Kaffee vor zwei Tagen, die immer größer werdende Gruppe von Spaniern, die leicht verrückte Tantra-Massagistin. Sogar Volver und constance, die ich längst Etappen weiter wähnte, laufen mir am nächsten Morgen über den Weg.

Was sonst noch geschah: einsame Küstenumwege verschönern die letzten Tage Asturien, bevor es nun bald ins Inland Richtung Santiago geht, die schönste Herberge mit Meerblick beim Wäsche aufhängen, Bettwanzen die sich seit knapp einer Woche mitsamt den Pilgern in sämtlichen Herbergen verteilen bleiben ständiges Gesprächsthema, meine Tastatur kann seit einer Wanzenbekämpfungs-Aktion kein c, o oder Leerzeichen mehr (verzeiht wenn ich es irgendwo vergesse zu ersetzen), und heute eine kleine….

Pepe

SoNDERNAcHRIcHT: Nach langen Vorbereitungen erscheint heute mein erstes Kinderbuch “Pepe und der Pupsroboter” im Willegoos-Verlag! Ich bin sehr aufgeregt, wie es anläuft und freue mich nach meiner Rückkehr über die ersten Lesungen. Ihr bekommt das Buch in jedem Buchhandel (bzw. bestellen die das, wenn ihr danach fragt), oder auf

Pepe und der Pups-Roboter

*Reflection verdient einen eigenen Absatz: nachdem er sein Ballon-Unternehmen verließ, bei dem er Party-Luftballons für Led Zeppelin und Kondome für die Rotlichtszene in Amsterdam vertrieb, arbeitete er eine Weile für Google als Fotograf und schulte die Fahrer für das Street View Programm. “Da bekommt man alles am Arbeitsplatz, vom Massageplatz zur 24h-Kantine”, erzählt der inzwischen 60-jährige. “Damit du möglichst lange arbeitest…” Inzwischen ist er Reki-Heiler. “Ich weiß selbst nicht so richtig, wie oder warum das funktioniert, aber solange es den Leuten nachher besser geht mach ich damit weiter…”. Letztes Jahr lief er den camino von Lyon bis Gijon und musste wegen einer Herzattacke und einer Nahtoderfahrung aufhören, jetzt will er den Rest noch laufen…

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Kehrseiten

 

Dies ist ein Blogeintrag für all jene,  die nicht neidisch gemacht werden wollen:

Der Nebel hängt schwer in der Luft. Es riecht nach Stahl und Schwefel, braune Wolken durchdringen die vereinzelt an Wäscheleinen hängenden Kleidungsstücke. Es rattert und brummt,  ein konstanter Geräuschpegel,  ein einsamer,  trauriger Hahn krächzt auf einem mit Maschendrahtzaun umzäunten Rostgrün, Rohre und Fabriklaufbahnen über der Straße, Schornsteine und halb verlassene, halb bewohnte (nicht belebte) Bruchbuden am Wegrand. Apokalypse Land. Bis zehn Kilometer hinter Gijon hängt die rostbraune Kohle- und Stahlindustrie in der Luft.  nur wenige Kilometer Waldweg und schon geht es wieder auf die Landstraße, stundenlang an den wenig moderneren Industrieanlagen vor Avilez entlang,  der Fluss ist blau-grau, die Luft rau, am oberen Ende eines Schornsteins werden Restgifte in stechender Flamme verbrannt,  LKWs brausen an mir vorbei.  Die Strecke von Gijon nach Avilez (beide davon abgesehen mit erstaunlich hübschen Innenstädten) ist postapokalyptisch, lang und ungemütlich.  Nachdem die deutschen Flieger in den 30ern Franco geholfen hatten,  den halben Norden wegzubomben,  kamen in den 70ern und 80ern die deutschen Industriellen, um die Fabriken (die sie dank ergrünender Politik in Deutschland nicht mehr bauen konnten) aus dem Boden zu stampfen und das Land unter einen grauen Schleier zu legen. Heute kommen die deutschen Pilger und laufen an den Schnellstraßen entlang von einer Herberge zur nächsten und beschweren sich dann, wenn sie Bettwanzen in einer der günstigen Herbergen bekommen. So wie ich zum Beispiel. Oder Volver, der zwar schon seinen ganzen Rucksack eingesprayt hat, heute morgen aber wieder mit neuen Stichen aufwacht. “Vielleicht sollten wir heute draußen schlafen”, sagt seine Freundin Constanze, letzten Endes landen wir im verschlafenen Hafendorf San Esteban. Als Pessimist sähe man dort vor allem alte Hafenmaschinen, als Optimist Industriemonumente. Und ein “Salzwasser-Schwimmbad”, das sich als Poolbecken mit Meerwasser un einer Wiese drumherum herausstellt, für das man dann Eintritt zahlen kann. (Oder man geht daneben an den strömungsumrissenen Steinstrand.)
Ja, der Camino ist bei Weitem nicht immer eine Anreihung von ruhigen Waldwegen und abgelegenen Stränden. Lange Landstraßen zerren an der Achillessehne, Asphalt drückt auf die Blasen, in ungewaschenen Herbergs-Bettbezügen lauern Bettwanzen und an den Berghängen entzünden sich Kniescheiben. Die erhoffte Wasserquelle nach Kilometern ist versiegt, die Pension voll und den meisten Wanderern der Rucksack zu schwer. Und dann läuft man eben auch mal einen Tag lang durchs Postapokalypse-Industriegebiet.

Aber dann kommt auch nach San Esteban ein mehrstündiger Weg über Waldwege und entlang verlassener Strände, wo das Morgenlicht sich in Streifen über den Wäldern bricht und der Sand im Wasser golden glitzert. Man läuft zwei Tage zusammen mit Volver und Constanze, die einem dank ähnlichem Tempo seit Güemez schon mehrmals zufällig über den Weg liefen, absichtlich schlecht Spanisch sprechen (“Damit die nicht denken ich verstünde was sie mir dann mega schnell antworten”), Insider, Erinnerungen und Mittagessen mit einem teilen. Und endet einen Tag in einer Hängematte nur wenige Meter vom Strand entfernt – das wird zwar im Morgengrauen wieder kalt. Aber dafür gibts hier auch keine Bettwanzen. Und kein Industriegebiet.

ZUSAMMENFASSUNG: Apokalypse-Land hinter Gijon, Industrie-Romantik ohne Romantik aber dafür ganz viel Smog und Rost, Bettwanzen und lange Landstraßen – aber auch gute Wandertage mit Volver und Constanze, einsame Paradiesstrände und humorgetränkte Waldwege.

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Asturias und das Universum

 

Der Stein ist so glatt, als wäre er geschliffen und poliert, rote Adern ziehen sich im Licht unserer Taschenlampen durch den Fels. Tropfende Stalagmiten versperren uns immer wieder den Weg, um unsere Füße spritzt das Wasser von im Schatten verbliebenden, gefluteten Stellen. Und dann dringt das bläuliche Licht zu uns, wo die Höhle sich unversehens zum offenen Meer öffnet. Mächtige Wellen schwappen den Stein hinauf. nur wenige Meter von uns entfernt, stürzen wasserfallgleich laut rauschend wieder zurück.
“Das ist eine Kathedrale”, murmelt Confianza beeindruckt, während ihre treue Hündin Gaia vorsichtig hinter Sosiego tapst. Wir stehen minutenlang auf einem leicht erhobenen Teil der unterirdischen Höhlen, nur wenige Minuten vom Küstenpfad entfernt, ohne ein Schild dass auf das kleine wunder hinweist (eine lokale Wanderin hatte uns darauf hingewiesen), und bewundern, wie die immer stärker werdenden Wellen in die Höhle spülen.
“Kann es sein, dass die Wellen immer stärker werden?”, frage ich nach einer Weile, weil gerade Ebbe ist, und das sich ja auch in der Regel irgendwann ändert. Sosiego nickt bedächtig und meint, vielleicht sollten wir dann doch besser mal zurückgehen. Wir stolpern zurück ans Tageslicht der asturischen Küste, stumm vor Bewunderung. Sogar Gaia scheint ein wenig kontemplativer zu sein. “Wie gut, dass wir den Umweg über die Küste genommen haben”, kommentiert Confianza, “nach den ganzen Landstraßen Kantabriens wollte das Universum uns etwas zurückgeben”.
Tatsächlich ist Asturien wieder einiges schöner zu laufen als die langen Aspahltstrecken in der Nachbarregion. Ich schlafe in der Hängematte mit Blick aufs Meer, morgenwandere unter einem unendlichen Sternenhimmel, bade an Stränden, laufe durch Eukalyptuswälder, stets mit den Piques de Europa in Sichtweite. Und während das belgische Rentnerpärchen, die mir seit einigen Tagen immer über den Weg laufen, auch den hässlichsten Straßenweg vorziehen, so lange der Weg schneller und die dort vorhanden Restaurants und Herbergen “sehr sauber und gar nicht teuer” sind (was ihr Hauptkriterium ist), lohnt es sich eben manchmal doch, sich Zeit und Kilometer zu gönnen.
So wie einige Tage später, als ich zur Siesta in der Hängematte eingeschlafen bin und von Gaias neugieriger Schnauze geweckt werde. “Jesko!”, ruft Confianza, “ich wusste doch dass wir uns nochmal über den Weg laufen!”.  Sie schläft meistens draußen, wir hatten unterschiedliche Geschwindigkeiten nach der Höhle eingeschlagen, aber “das Universum”, sagt Confianza, und wir laufen Richtung Villaviciosa. “Weißt du, worauf ich mal wieder Lust zu Essen hätte? Linseneintopf!”, meint sie irgendwann aus dem Blauen heraus, was zwar ein witziger Gesprächsanfang ist, aber meine zustimmung erfährt. Ich möchte an diesem Abend noch nach Amandí kommen, einer Empfehlung von Mariposa folgend. “Ich glaub ich suche hier schon was”, verabschiedet sich Confianza, “aber wir werden uns schon noch wieder sehen.” Wir tauschen trotzdem Nummern, falls das Universum anderweitig beschäftigt ist.
Als ich in der wunderbaren, familiären Herberge ankomme, wo eine vier Monate Alte Katze um meine Beine streift, Hühner gackernd über den Hof rennen und die Hospitaleros mit strahlenden Augen beim gemeinsamen Abendessen von der Vielfalt ihrer Gäste berichtet, schreibe ich Confianza, das noch Platz hier ist, und auch Gaia (eine der wenigen Ausnahmen von meiner tendenziellen Abneigung gegen Hunde) kommen dürfe. Keine halbe Stunde später stehen die beiden auf dem Hof, die andere Herberge ließ sie nicht mit Hund hinein, dankbar setzt sie sich zu uns an den Tisch. Es gibt Linseneintopf. “Das Universum!”, sagt Confianza. Leider hat das Universum in dieser Nacht auch beschlossen, ihre Oma den Kampf mit dem Krebs verlieren zu lassen. Zum Glück ist sie heute nicht irgendwo alleine im Zelt, stellen der Hospitalero und ich fest, wir machen Tee mit hausgemachtem Honig, weil das immer hilft, Confianza erzählt uns, was für ein Mensch ihre Oma war. Am nächsten Tag wird der Hospitalero, für den der Camino eben nicht hauptsächlich ein Geschäft ist, sie nach Oviedo fahren, damit sie von dort nach Hause kommt. “Estoy bien”, sagt Confianza zum Absched, “zum Glück hat das Universum mich gestern abend hierher geführt”. Vielleicht wird sie den Rest des Weges später weiter machen, Finisterre (ihr eigentliches Ziel, denn wer braucht schon Santiago) wartet auch auf sie. Wer weiß, vielleicht werde ich sie ja dort wieder sehen, am Ende der Welt. “Das Universum”, wird Confianza dann voller Zuversicht sagen. Und Gaia wird gemütlich um uns herumtapsen, als wäre es das Normalste der Welt.

ZUSAMMENFASSUNG: Endlich wieder schöne Landschaften jenseits der Landstraßen, eine Meereshöhle bei Ebbe (zum Glück), der Zusammenhang von Linseneintopf und dem Universum, Gaia – die Ausnahme meiner Hunde-Abneigung, eine familiäre Herberge und ein Todesfall.