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Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Winter in Berlin

Die Luft in dein’m Kiez trägt n sauren Duft
Weil du bei -3° noch nach draußen musst
Der Atem verdunstet am Brillenglase
Dir zittern die Finger und läuft schon die Nase
Und es läuft und du läufst durch die nasskalte Straße
… es ist doch nur ne Phase…
Es ist niemals so kalt, dass der Schnee sie verziert
Trotzdem Eis am Asphalt dass der Boden gefriert
Ziehst die Mütze hinab und den Schal etwas enger
Der Winter geht heut wieder länger.

Berlin zu lieben im Sommer ist leicht
Wer die Stadt wirklich liebt, ja der bleibt

  • wenn es dunkel wird
  • wenn du unten bist
  • wenn die Hälfte der Stadt längst im Urlaub verschwunden ist

Und du atmest die Sonne von 11 bis um 3
Und du siehst nur das Tag-grau hast du einmal frei
Und du trinkst und du trauerst den Parks hinterher
Denkst von Montag bis März machst du grad gar nichts mehr…

Der Boden ist glatt und es wär leicht hinzufallen
Aber irgendwie hältst du dich noch auf den Beinen…
Noch n Monat
Und noch n Monat
Und noch n Monat
Und dann ist grade erst November.
Willkommen in Berlin.

Wenn ich nicht weiß, wohin, wohin
Bist du mein Winter in Berlin…
Ich hab dir alles schon verziehn
Du bist mein Winter in Berlin….

Denn als ich dir versprach ob in schlechten oder lieben Zeiten
Da wusst’ ich diesen Winter werd’ ich wieder bleiben
Lass uns einfach den Dezember über Lieder schreiben.
Und dann den ganzen Rest des Winters einfach liegen bleiben
Winterschlaf
Inschalla
Liebe in Berlin wir bleiben immer da
Und auch wenn wir schon seit gestern nicht mehr draußen war‘n
Temp’raturen sind zwar kalt doch deine Haut ist warm
Wir lesen 20 Bücher in nur 13 Tagen
Währ’nd wir in 5 Decken gekuschelt an der Heizung lagen
Ich vermisste diese Zeit, wenn ich sie nicht mehr hätte
Auf dem Herd heißer Kakao, im Herz ne Lichterkette

Warmes Leuchten vom Café, menschen-freundliche Chaussee
Ach Berlin, du gibst dir Mühe, denn seit heut liegt sogar Schnee.
Nachts gefriert der See und es trägt sogar mein Gewicht
Dein Atem zeichnet Wolken in die Luft um dein Gesicht
– Wintermärchenzauber es ist wie in nem Gedicht
Wenn die Abendsonne sich in diesen Eiskristallen bricht
Ob du’s glaubst oder nicht
Ja ich brauche nur dich
Bist mein Winter in Berlin, dann ist das auch kein Verzicht.

Wenn ich nicht weiß, wohin, wohin
Bist du mein Winter in Berlin…
Ich hab dir alles schon verziehn
Du bist mein Winter in Berlin….

Und wenn die Welt da draußen, im Schnee versinkt
Spüren wir doch erst, dass wir am Leben sind
Und wenn die Welt da draußen, im Winter schlaf ist
Bleibst du mir der Grund warum mir immer warm ist.

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Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Die Tage der Tiefsee

Niemand hatte mich hierauf vorbereitet.
Niemand mich hineinbegleitet
Niemand hat davon gesprochen
Und doch ist es hereingebrochen.
Über mich.
Und ich?
Ich wusste doch nichts von dieser Tiefsee.
Diese krassen nassen Wellen, die ich jenseits meines Alltags nie seh
Das passiert ja nicht mir
Nicht jetzt und nicht hier
Ich wusste das alles doch nicht.
Verwundert nicht, wenn mans runter bricht:
Dass man es mir bis dato nicht mal angesehen hat
Als ich an jenem Sonntagnachmittag in meinem Stammcafé saß,
Da ahnte ich nichts. Wie auch.
Ich aß ne Kleinigkeit-und
Las einfach ne Zeitung
Und es war ne lange Leitung
Bis der Anruf zu mir kam
Die Nachricht klar benannt
Du warst nicht mehr.

Es flackerten die Lichter, ich muss mich halten,
irgendwo
Mein Gleichgewicht:
nirgendwo
Ich hörte dumpfes Brodeln, ein gurgelndes Drohen
Ich wär so gern geflohen
Doch meine Beine war’n erstarrt
Als plötzlich das Schaufensterglas zerbarst.
Die Wasserfluten dieser Tiefsee brachen über mich zusammen
Das Café versank im Strudel in dem Kaffeetassen schwammen
Es war ein lärmendes Rauschen
Alle Stühle mitgerissen
Es war schwarzes, tiefes Wasser ohne menschliches Gewissen
Es war’n tausend Kilo Druck. Mörderisch und kalt.
Etwas schlug mir an den Kopf, verlor den körperlichen Halt
Die salztriefende Tiefsee hinterlässt mir eine krustige Zunge
Mein Blick so erstarrt
Keine Luft in der Lunge
Seit heute warst du fort. Und ich tauchte hinab
Ich konnte nichts mehr seh’n, hab es kaum mehr geschafft.

Lots mich durch die Tiefsee
Bitte nimm mich an die Hand
Ich find allein den Weg nicht
und ich komm nicht mehr an Land
Und manchmal braucht es nur ein Wort
Und manchmal tausend Stunden
Bitte lass mich nicht zurück
Ich hab mich selbst noch nicht gefunden

Die Tage des Sturms


Als ich erwachte aus dem Taumel, war der Raum um mich noch nass
Ein Gurgeln aus dem Abfluss, meine Hände waren blass
Doch ich war wach.
Klamme Kleidung am Körper, knackende Knochen
Bis ich wieder mit wem reden konnte, dauert es Wochen
Ich sah nur noch durch den blauen Dunst
Und als ich heimkam, waren Algen überall
Brackpfützen im Treppenhaus, ein kleiner Wasserfall
Es tropfte, schlammig, tote und japsende Fische
Meine Zehen zittern zaghaft von der eiskalten Frische
Deine Sintflut hat mein Leben jetzt verändert.
Nasser Sand auf dem Parkett, und die Tapete nass-gerändert
Und es gab so viel aufzuräumen.
Und so viel zu kümmern.
Aber alles war so anders
Meine Welt lag doch in Trümmern
Und ich lebte unter Wasser, und ich fühlte mich allein
Die Wochen ging’n vorbei ich konnt der Welt nicht mehr verzeihn
Ich atmete und schwamm
Man tut halt, was man eben kann
Doch eines Tages: Konnte ich nicht mehr.

Ich stand an einem Bahngleis, irgendwohin
Für irgendeinen Scheiß, als hätt es irgendein Sinn
Alles war noch immer so nass; von den Tagen der Tiefsee
Geflutete Stufen so krass, das Wasser am Kragen und ich rief (eh)
Im Hass, gegen all diese Algen und das Salz und das Meer
Gott wie ich es hasste!, ich war kalt und so leer
Und ich spürte jetzt den Sturm in meinen Händen
Er toste durch die Haare fremder Menschen, von dem Gleis zu den Wänden
Zu den Enden dieser Stadt, die einfach weiterlebt
Weitergeht,
Als wärst du noch hier.

Ein Orkan meiner Wut wehte Dreck über die Gleise
Riss die Bänke vom Beton in wahrhaft schrecklicher Weise
Griff der Tornado in die Schienen, bis Metall zum Kreischen brachte
Warf die Züge in die Wolkenkratzer, dass es weithin krachte
Es war Sturm
Da sollte nichts mehr sein: Kein Wasser, kein Fisch, kein Gefühl
Nur mein Hass, weil ich nichts mehr fühl!
Und ich hoffte dieser Sturm würd alles fortwehen
Denn ich wusste, ohne dich will ich nicht weitergehen.



Lots mich durch den Sturm
Bitte nimm mich an die Hand
Ich find allein den Weg nicht 
und ich weiß nicht mehr wo lang
Und manchmal braucht es einen Notruf
Und manchmal tausend Stunden
Bitte lass mich nicht allein
Ich hab mich selbst noch nicht gefunden

Die Tage der Wüste

Als ich nach den Tagen des Sturms wieder heimkam, irgendwann,
… Kam ich nirgends an
Wüstensand wehte schwer, legt sich mehr über Beton
Staubig und leer, einsam bis zum Horizont
Nur mein Bett stand gemacht in den gräulichen Dünen
Und so deckte ich mich zu und ich träume vom Grünen
Aber der Himmel war leer
Und die Wüste war leer
Ich vermiss nicht das Meer
Doch ich will das nicht mehr
Aber wenn dein Bett einmal im Sand steht
Ist doch klar, dass man kein Land sieht.
Und so begrub die Wanderdüne deiner Leere meine Welt
Bis ich irgendwann nur dachte, dass mich nichts mehr auf ihr hält
Ich lag in meinem trockenen Bett, die Sonne dörrt meine Haut
Für diese Tage der Wüste, hat man nie Wörter gebraucht
Denn ich sprach nicht
Empfand nichts
Sah nichts
Im Sand-Licht
Die Stadt war verschwunden, seit du einfach so gingst
Und ich wusste nicht was mich noch von hier fortbringt.

Lots mich aus der Wüste
Bitte nimm mich an die Hand
Ich find allein den Weg nicht
Zwischen all dem leeren Sand
Und manchmal braucht es nur ein Wort
Und manchmal tausend Stunden
Bitte lass mich nicht allein
Ich hab mich selbst noch nicht gefunden

Die Tage der Bäume

Aber eines Tages werde ich einen Samen setzen.
Dort, neben meinem Bett im Sand.
Die Erinnerung an dich, hält mir dabei die Hand
Während der Baum langsam wächst. In der wüstenklaren Nacht.
Und es wird furchtbar lange dauern, bis er Blütenfarben hat
Aber irgendwann steht da ein Baum.
Irgendwann schafft er mir Raum.
Und irgendwann werde ich ohne dich die Welt wieder erbau’n
Und das Café von jenem Sonntagnachmittag wird nicht das Gleiche sein.
Mein Zimmer nebenan: Nein, es wird nicht das Gleiche sein.
Aber irgendwann wird hier ein Wald stehen.
Um den ersten einsamen Sproß
Kein unberührter Urwald aus den Tiefseetagenträumen:
Nein. Ein nachgepflanzter, junger Forst, mit grünen, zarten Bäumen
Zwischen den Häusern meiner Stadt
Die sich erhebt, von ihren Ranken umringt
Und in den Zweigen ihrer Kronen hört man sanft nun den Wind
Und in dem Grund eine Wurzel die am Rand der Tiefsee fischt
Und der Beton dieser Straßen ist aus Wüstensand gemischt.
Und du bist immer da.
Und du bist immernoch fort.
Hab dein Foto in der Tasche an nem herzensnahen Ort
Und ich halt mich an dem Baum fest, der die Welt mir verbessert

Und in mein’m Auge eine Träne
Die ihn wässert.

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Lyriken der verpassten Revolution Texte

Herz und Faust und Victory

Dieser Text kennt keine Antwort. Er wird euch keine Lösung präsentieren.
Er kennt nicht gut und richtig, wird für nichts davon votieren
Dieser Text hat weder Plan noch Strategie, nicht Herz und Nieren
Hat zwar n Sachbuch gelesen doch hat wenig starke Fakten
Hat sich nur durchs warme Herz gewühlt, und nicht durch nackte Akten
Dieser Text wollte erreichen, was er nicht kann, noch weder muss
Dieser Text war einst gewidmet jenem Lande Belarus
Für weniges bekannt: Die Hauptstädter heißen Minsker
Der Name früher „Weißrussland“, der Herrscher dort ist finster

Manche Linien zieh’n sich einfach und sind deutlich zu verstehn
Manche Linien sind so sichtbar, jeder Mensch kann sie schon sehn:
Dort in schwarzer Uniform standen Omon-Polizisten
Da die Frau’n in weißer Kleidung die die Friedensfahne hissten
Dort Verhaftungen schon wahllos, Vergewaltigung und Folter
Da die friedlichen Proteste die der Staat bald überrollt hat
Manche Linien zieh’n sich einfach. Aber leicht ists dadurch nicht
Schon symbolisch-kleine Handlung hat hier eisernes Gewicht

Dieser Text ist ein Symbol, wie so viele: schwach, vergänglich
Seine Auswirkung ist endlich, also letztenendes: menschlich
Jedes Symbol ist ein Versuch, eine Hoffnung für den Halt
Doch Symbole könnten stark werden: Ein Weg aus der Gewalt
Es ist: weiß, rot, weiß. Rote Jacke, weißes Kleid

Drei Papiere nur im Fenster, für den kurzen Blick bereit;
Drei Stockwerke beleuchtet: schon verhaftet, weil publik
Es sind zwei Farben, drei Symbole. Es ist eine Republik.
Es ist: Herz, Faust, Victory, Symbole mit der Hand

Von drei Frauen für die Freiheit, es vereint das ganze Land
Die Menschen gegen Lukaschenko bleiben weiter viel
Es sind zehn Finger, drei Frauen, ein einziges Ziel
Es ist: Ein Hochzeitskleid, ein Blumenstrauß, ein Polizist umarmt
Die Staatsgewalt, sie weiß noch nicht wie man Frauen verwarnt
Denn es warn jene kurzen Tage, wo der Schlagstock noch nicht traf
Es sind zwei Menschen, drei Sekunden, und ein flinker Fotograf

Es ist: Ein Kürbis vor den Staatspalast, er bleibt dort einfach liegen
Die Geliebte Belarus, sie will den Dick-tator nicht lieben
Der Soundtrack einer Sowjetband, über WANdel und Kraft
Es sind zwei Djs, drei Minuten Song, und dann zehn Tage Haft

Die Frauen wurden sichtbar, ihre Männer war’n verhaftet
Swetlana, Mascha, V’ronika: Sie haben viel verkraftet
Nicht alle Feministinnen, zunächst erst Bürgerrechte
Sie kämpfen noch für menschenweite Würde, aber echte
Jedes Kind kennt ihre Namen nun. Dass Frauen plötzlich handeln?
Politikerinn‘ gabs sonst nicht, is‘n kleines bisschen Wandel
Vielleicht war es ihr Einfluss, der die Menschen friedlich hielt
Trotz der Folter, trotz Gefängnisse, wo man sie prügeln ließ
Vielleicht brachten die Frauen und Symbole das ans Licht.
Vielleicht ist das ein Vorbild. Vielleicht aber auch nicht.
Denn Lukaschenko herrscht noch immer, er verhaftet, er verhöhnt
Er unterstützt den Krieg und Belarus bleibt unversöhnt.
Manche Lini-en verschwimmen, wie die sommerheiße Luft
Sinkt gewaltloser Protest nicht irgendwann zur weißen Gruft?
Wann muss man zur Waffe greifen in ner Revolution?
Wann kriegt Widerstand den Kriegsgeschmack und härteren Ton?

Dieser Text war Belarus, dann erbrach sich die Lawine
In den Büchern liest man heut noch nicht vom Fall der Ukraine
Dort gibt’s keine weißen Frauen, wenn du aus dem Fenster schaust
Widerstand: Nicht Hand gen Himmel, sondern nur noch Panzerfaust
Manche Linien verschwimmen: Souveränität und Land-Mord
Ab wann braucht es die Gewehre? Dieser Text kennt keine Antwort.

Die Symbole sind verblasst, die Präsidentin im Exil
Die Proteste ließen nach während ganz Minsk in Angst verfiel
Im Nachbarland herrscht Krieg, und der Diktator gibt die Kusshand
Belarus ist nur noch Durchgangsort für Truppen jetzt aus Russland

Dieser Text war Belarus, doch hat die Zeit ihn überholt
Die Symbole sind jetzt anders und die Städte sind verkohlt:

Es ist: hellblau, hellgelb, man pinselt es auf jede Wand
Gegen das weiße Z der Russen, überall, im ganzen Land
Sie rufen „Welt: vergiss uns nicht“ mit greller Farbintensität
Es sind zwei Farben, eine Sonnenblume. Souveränität.

Es ist: ein dunkelgrünes T-Shirt, und ein müder Präsident
Dass er nie ein Kriegsherr seien wollte, zeigt sich evident
Ein Schauspieler, ein Boxer, die inzwischen jeder kennt
Es ist ein dunkelgrünes Shirt statt einem weißen Anzugshemd

Es ist: Ein Hahn aus Ton, noch unzerstört, in der zerbombten Stadt
Ein Tier-Symbol der Kampfeslust, es kräht, nach dunkler Nacht
Das Wissen der Regierung, dass es weiter nicht so geht:
Es ist ein Hahn, es ist ein Falke, und ne Verteidigungsarmee.

Manche Linien sind klar, viele Linien sind verschwommen
Die Wichtigkeit des Friedens bleibt bei all dem unbenommen
Dieser Text weiß keine Antwort, dieser Text ist ein Symbol
Die Antwort ist nicht Minsk, aber auch nicht Mariupol

Symbole sind zwar mächtig, doch sie könnens nicht bekunden
Und wär die Antwort einfach, hätt sie längst schon wer gefunden
Und vielleicht könn wir nur hoffen, dass Symbole weiter schaffen
Was so viele Völker wünschen, und am Besten ohne Waffen

Es ist: Ein weißes Armband nur an tausenden Armen
Das Zeichen des Protestes für die Menschen, die da kamen
Du bist hier nicht alleine, sie sind alle sichtbar wie:
Ein weißes Armband, und drei Gesten: Herz und Faust und Victory.

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Naive Metapoesien der Einsamkeit Texte

Prag

Dieser Text ist erschienen in: Von den zwei Arten des Vergessens.

Wenn ich hinter meinem Kleiderschrank ein Labyrinth bauen könnte
Dann führte es nach Prag.

Ich verschwände jeden Tag
Einen schmalen Gang entlang
Im traumhaften Grauen
Fände Raum hinter Raum
Immer tiefer hinunter in die Katakomben
Eine Kellerwand ist eine Kellerwand
Ob Prag oder Wedding
Zeichnete Wege, die ich dadurch schneller fand
Mit Marker und Edding.

Könnt dank kryptischer Zeichen
Die Krypta erreichen
Denn alle Wege führten dahin:
Zum letzten aller Räume, begraben unter’m Hradin
In der Luft und in dem Kopf schwebt absynthener Dunst
Die Wände verziert voller sündiger Kunst
Es gäbe keine Antworten – doch auch keine Fragen
Nichts mehr zu verantworten
Auch nicht mehr zu wagen.

Die vollgepackten Rucksäcke ließ ich im Schrank daheim
Die schmalen Gänge bloß gemacht für einen Mensch allein
Die Türen, die ich schloß, verschwänden stumm hinter’m Gestein
Im grauweißen Schein schimmert versteintes Gebein
Nein.
Es wäre nicht schön.

Ein Rattenkönig als Kronleuchter
Kanalisations-Kannibalen
Todsünde Trägheit: Die Absolution der Annalen
Das Abwasser der Welt; es fließt schon im Banalen
Die Abwesenheit des Lichts ist nicht Böse, sondern Nichts
Doch deinen Fährmann auf die and’re Seite müsstest du bezahlen
Und das willst du eben doch noch nicht verdienen.

Und so führte mich mein Labyrinth den Abfluss entlang
Durch die begraben und vergessenen Alt-Moldaustadtruinen
Es wäre nicht das Prag der geselligen Cafés
Die Stadt der tausend Lichter zum Gesang der Chansonniers:
Das Labyrinth unter dem Kleiderschrank, das endet unter Kafkas Gassen.

Dort, wo nicht die Massen staunender Passanten wanken
Sondern jenseits noch der Zechen, die auch Tschechen selber hassen
Weil sie unerklärlich enden und Legenden sich um ihre Klinkerlenden ranken
Und die Unbestimmtheiten uns’rer Zeiten nur wuchern
Wie die Pflanzen um die Köpfe der Schönheiten von Mucha
Wo man nichts wirklich verstanden, und noch weniger je überwunden hat
Dort, wo Objektivität den Sinn verliert, weil man sie selbst erfunden hat –
Es wäre kein leichter Ort.

Und jedes Mal, wenn ich ihn beträte, würd ich zweifeln
Und im Geiste schon die Wände einreißen
Jener Räume, die da lauern. Hinter meinem Kleiderschrank
Mit ihren verschlossenen Türen der Einsamkeit
Und den feuchtkalten Mauern – und die Tage bedauern
An denen ich sie leider fand.

Ja, ich hasste jene dunklen Gänge, die ich selbst erschüfe
Trüge Flüche auf der Zunge wie ein flüchtender Junge
Und doch
Ließ ich sie stehen.

Denn trotz aller Stolpferfallen und der Wege zum verirr’n
Gäben sie mir einen Blick auf deine Stadt hinter der Stirn
Ich könnte endlich wissen, welche Monster du besiegst
Wenn du morgens deinen Kopf erhoben kriegst.
Wüsste, wie allein du sein kannst, wenn du durch die Gänge fliehst
Weil du die Tür gleich neben dir hinter den Mauern nicht mehr siehst.

Wenn ich hinter meinem Kleiderschrank dein Labyrinth bauen könnte
Ging ich jede Nacht hinein in meiner mutigsten Manier
Bewaffnet nur mit Kompass / Bleistift und Papier
Um die Karten zu zeichnen
Die noch grade so reichen
Als Minimalorientierung

Denn wahrscheinlich kennst du die Gänge und Gassen eh viel besser als ich
Es ist ja deine Stadt.
Zwar hast du sie selbst nicht gemacht
Doch als ein‘ Göttin uns einst Prag erschuf,
da hat sie an dich gedacht.

Wenn ich dein Labyrinth mir hinter meinem Kleiderschrank erbaute
Wär es bestenfalls ein maßstabgetreues Modell
Eine hoffnungsbeladene, niemals verzagende
verständnise-lehrende, nie ganz verheerende Kopie
Ich brauche sie
Um dein Prag zu sehen
Um letztlich jenen Tag zu verstehen, an dem du aus meinem Kleiderschrank stolperst.

Damit ich dich dann in den Arm nehmen kann
Und dir warm sagen kann:
Du bist nicht alleine.
Und wenn du das nächste Mal in Prag bist:
Hier ist die Karte.
Von dort, zu meinem Kleiderschrank.

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Naive Metapoesien der Einsamkeit Texte

Die Flügel Soledads

Es ist vier Jahre her, als es das erste Mal geschah
Die Berglüfte war’n klar, Menschenseelen waren rar
Ich war auf langer Wanderschaft, vergaß zu sprechen schon beinah
Es war ein karger Samstagnachmittag, als ich ihn vor mir sah
Und ich weiß, das scheint ein bisschen wie die schwärzeste Magie
Oder vielleicht ein schwerer Fall für die geschloss’ne Psychatrie
Aber irgendwie war ich überzeugt davon, da säß‘ ein Rabe in der Tat.

Und da ich nicht sicher war, ob er wahr war,
Aber wusste, dass er nur wegen meiner Einsamkeit da war
Taufte ich den schwarzen Vogel „Soledad“.
Er hat Menschenlosigkeit mir als Tribut formuliert
Ich hab die Raben-Gespräche stets als Dispute notiert
Doch waren sie, bedenk ichs recht, selten mit Wut komponiert
Denn diese Einsamkeit der Steilküsten war gut konnotiert

„Eine positive Einsamkeit? So ein Unfug. Was soll das sein?“
Fragte Soledad und ließ mich dafür stundenlang allein
„Ich mein die Fähigkeit, mit sich allein zu sein“,
Sagte ich, als er zurück war
„Vielleicht brauchen wir ein Wort für das, wenn es gleichzeitig Glück war?“
„Das nennt man Abgeschiedenheit“, sprach er mit der Entschiedenheit
Die zwischen ihm und mir so oft lag, als die Grundverschiedenheit
Eines metaphorischen Fabelwesens auf der einen Seite
und eines lyrischen Ichs auf der anderen.

Nur eine Metapher, nicht mehr,
Und doch bedeutungsvoll statt leer
Denn in lauten Touri-Städten sehnt‘ ich mich, nach seinem leisen Flügelschlag
Der, wie ich ahnte, schon hinter‘m nächsten Hügel lag
Bewusst gewählt, können diese Tage
Mit niemand außer jenem Raben sich durchaus gut anfühlen
Denn wenn es sowas gibt, dann war das eine positive Einsamkeit
Und ich stand grad auf dem Grat der sanften Abgeschiedenheit
Und war mir nicht ganz sicher, zu welcher Seite ich taumelte.

Am letzten Abend, als wir zum Örtchen namens Erdende gelangten
Sahen wir Wanderstöcke und Wünsche die am Horizont verbrannten
Wir wankten zwischen altbekannten Unbekannten
Und ungenannten selbsternannten Grundentspannten
Und da war ich, und da warst du, so grundsätzlich abgeschieden
Dass wir uns in unsr’rer Ähnlichkeit so unterschieden
Doch nein, ich war nicht unzufrieden,
Schön, dass du mich nicht im Stich lässt, Soledad.
Was wären diese Wege ohne dich, Soledad.

Doch nicht immer ist die Einsamkeit so selbstgewählt,
Die Verzweiflung in der Abgeschiedenheit bleibt schwer erzählt
Weil in Zeiten wie den unsren Socializen noch mehr zählt
In dieser immerzu vernetzten, kommunikativen Welt.
Es ist ein kalter Dezemberabend, zurück in Berlin, fast schon Gegenwart.
Ein Tag, der manchen Menschen heilig ist oder ihren Segen hat
Wegen Familie. Wegen Heimatgefühl. Wegen Gemeinsamkeit.
Wir reden über Geschenke und den Nachwuchs und alle gehen in die Kirche, Heilignacht
Weil man das so macht
Und es ihnen wichtig ist. Wegen Gemeinschaft.
Wen kann das schon stören.

Ich bleib Zuhause ganz für mich, doch nur ein Blick und ich könnt‘ schwören
Dass dort ein schwarzer Rabe sitzt, auf dem Teppichboden.
Eine scheckig-schäbige Erinnerung aus Anekdoten-Episoden
Und irgendwie hab ich dich vermisst. Und irgendwie auch nicht.
Denn hat der Rabe Soledad sich eben eingenistet
Bleibt er bis auf weiteres in deinem Leben unbefristet
Und im Kontakt mit ander’n Menschen schreckt der trübe Rabe ab
Weil jeder sieht, dass man da sichtbar eine üble Narbe hat
Es wäre einfach, über die Einsamkeit anderer Menschen zu sprechen:

Sich den Kopf nur zu zerbrechen über Klischeebilder dieser Anderen,
Dieser Einsamen, die armen Seelen, für die wir doch jetzt gemeinsam etwas tun sollten
Es ist viel schwerer, über sich selbst zu reden.
Denn ich, ich bin einsam, inmitten meiner eigenen Verwandten
Und das, obwohl sie mich mein Leben lang doch meistens gut verstanden
Aber irgendwie ist da dieses unausgesprochene Unverständnis.
Ich fühle mich einfach nicht, als wüssten sie, wer ich bin.

„Oma, bist du manchmal einsam?“, hab ich meine Oma mal gefragt
Und sie zuckte die Schultern, wie um zu sagen „natürlich, was denkst du denn.
Denn seit dein Opa fort ist fühl ich mich so jeden Tag“
sagt sie, setzt sich auf ihren Schaukelstuhl und versinkt wieder in sich selbst.

Wenn ich einsam bin, kehrt meine Depression zurück
Wär sie ein Schauspiel, dann auf jeden Fall ein Solo-Stück
Nur ohne den Applaus des Publikums. Und ohne Verkleidungen.
Und so, als hätte man den auswendig gelernten Text vergessen.
Stattdessen mit appetitlosem Essen und unfertigen Prozessen
Wenn ich einsam bin, spielt es keine Rolle, wie viele Kontakte ich hab
Denn ich ruf die nicht von selber an!
Dann schlaf ich schlecht, fühl mich gestresst
Die leichteste Erkältung setzt mich schnell außer Gefecht
Und das, obwohl ich weiß, dass meine nächsten Freunde nur zwei Straßen entfernt wohnen

Bei all dem ist mir klar, dass noch viel Schlimmeres existiert
Denn trotz meiner Einsamkeit bin-ich-nicht sozial isoliert
Denn natürlich gibt es sie: Menschen, die niemanden mehr haben
Ihre Alltage verbringen mit nichts als dem schwarzen Raben
Die soziale Gesundheit versenkt sich in Schweigen
Stresshormone, Blutzucker und Blutdruck, die steigen
Herzinfarkt oder Demenz wird ihnen schnell zu eigen
Weil einsame Menschen de facto an mehr Krankheiten leiden
Als ob Einsamkeit alleine nicht schon schlimm genug wäre!
Soledad ist überall. Und er kann jeden treffen, unbedingt.

Es ist die Mutter, die den Tag nur mit ihrem Baby verbringt
Es ist der Erstsemester-Studi, dem der Anschluss nicht gelingt
Es ist die Frau, die sich im Job immer zu voller Leistung zwingt
Es ist der Mann, der mit der Arbeitslosigkeit im Alltag ringt
Es ist meine Oma, der der Partner fehlt,-altersbedingt
Es ist der Jugendliche der uns droht dass er sich selbst umbringt
Und es bin ich, dem es misslingt,
….Das einfach mal zuzugeben.
Wir sind nicht alleine damit, einsam zu sein.

Einsamkeit ist ein Spektrum. In Japan gibt es über eine Millionen Hikikomori: Junge Menschen, die ihre Wohnung nur fürs Nötigste verlassen und völlig sozial isoliert wohnen. In der „Feiertagshotline“ von Silbernetz rufen über die Weihnachtstage alte Menschen an, von denen 88% einfach nur mit jemandem reden wollten. 15- 30% aller Deutschen fühlen sich häufig oder ständig einsam – obwohl 60% von ihnen laut eigener Aussage eigentlich immer jemanden haben, mit dem sie alltägliche Probleme besprechen könnten. Die meisten davon sind unter 40 Jahre alt. Jeder zehnte Mensch in Berlin. Das sind mindestens drei Leute in dem Hinterhaus, in dem ich wohne.
Was hilft: sich selbst und seine Abgeschiedenheit zu akzeptieren. Sich gegenseitig helfen. Hilfe in Anspruch nehmen. Was nicht hilft: Es totschweigen. Es betrifft sehr viele von uns, immer wieder, egal wie extrovertiert wir uns geben.

Schönen guten Abend, ich bin Jesko, Dichter, Bühnenpoet, und oft einsam.
Soledad nickt, putzt sich das Gefieder und hüpft mir auf die Schulter. Vier Tage, nachdem ich ihn dort auf dem Teppich unter dem Weihnachtsbaum sah, postete ich in meiner Timeline, dass ich einsam bin. Ich bekam viele Anrufe, und Leute trafen sich mit mir, von denen ich nicht mal wusste, dass ich ihnen wichtig bin.
Soledad ist deshalb nicht verschwunden. Schönen guten Abend, ich bin Jesko, Dichter, Bühnenpoet, und das ist mein Begleiter Soledad.
Es ist nicht schön, dass du da bist, Soledad.
Aber wir schaffen das zusammen, Soledad.

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Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Elektro-U-Bahn-Späti-Duft


Jeder Bezirk dieser Stadt hat seinen eigenen Duft
Lauf ich durch meinen Kiez, klebt Shisha in der Luft
Backshops und Späti, Gras am Kanal
Am Leopoldplatz atme ich grad nicht nasal
U-Bahn voller länger nicht gewaschener Passanten
Die trotz 3-Minuten-Rhythmus noch durch Bahntüren rannten
Raucherkneipen, Knoblauchpizza, Hundestraßenkot
Alte Damen mit Parfüm vom Sonder-Angebot
Kottbusser Tor, Kreuzburger, Falafel
Hipsterkaffee und Club Mate auf Shuffle
Müggelseelaubwald und Stadtautobahn
Die BSR hat sich im Mülltag vertan

Oh ja, Stadtluft macht frei, und so sehr du auch müffelst
Kriegst du trotzdem nicht mehr als den üblichen Rüffel
Schlimmstenfalls hast du dein U-Bahn-Abteil dann allein
Denn gemeine Berliner sind ja eh schon gemein
Doch hat‘s eigentlich niemand je wirklich übel gemeint
Der Verein dieser Stadt fühlt sich halt darin vereint
Um im Lärm der Motoren irgendetwas zu hören
Muss man eben rumoren und motzen und stören

Und kommt das E-Auto letztlich als Straßengefährt
Dreht den Bass lauter auf, damit man euch bemerkt!
Ja, an Lautlosigkeit ist hier niemand gewöhnt
Denn alles hier wummert und kreischt oder dröhnt
Tegel über’m Kopf, Hand hoch, wink dem Piloten
Presslufthammer-Hausbau als harmonische Noten
Immer wenn mein Nachbar Sex hat, dreht er Technosounds laut
Wobei… auch wenn er kocht oder Fernseher schaut
Nie verzichtet er drauf – wenn er trinkt sowieso nicht
Was immer geschieht, am Schluss wird’s elektronisch
Das ist das Credo der Stadt, versichert wie Safe:
Erst kommt die Arbeit, dann kommt der Rave

Groß-Demonstration: am Schluss Elektronisch
Maifest in Kreuzberg: am Schluss Elektronisch
Grillen im Park: am Schluss Elektronisch
Ton-Töpferkurs: am Schluss meistens konisch
Hochzeiten, Partys: am Schluss Elektronisch
Mit Bike schnell zur Arbeit: am Schluss Elektronisch
Schnell shoppen gegangen: ein bisschen ironisch
One-Night-Stand Nächte: am Schluss Elektronisch (zumindest bei meinem Nachbarn)
E-Zigaretten: am Schluss Elektronisch
Geschlossener Kreislauf: am Schluss Elektronisch
Von vorn‘rein Elektro fast jedes Club-Lied
Selbst der Tür-Sound der S-Bahn ist Elektrobeat

Und wenn du jetzt denkst, wie soll sich das lohnen?
Wie kann man bei all dem nur stolz oben thronen?
Wie kann man dem Stress entgehen, sich selber schonen?
Wie kann man in diesem Moloch noch gut wohnen?
Dann lass mich dir sagen:
Du willst hier nicht wohnen.

Hier, wo Partybrüder und Krankenschwestern um fünf Uhr nachts die Bahn besteigen
Wo Dichtende und Dichte neben Clubboxen im Wahn verbleiben
Wo Straßentrinker und Street-Day-Paradisten ganztags ihre Fahne zeigen
Wo Tierschützer und Bauarbeiter schützend lenkend ihren Kran begleiten
Wo jeder letztlich Stammgast ist beim Späti seiner Wahl
Wo Flaschenpfand ne Spende ist, Hausnummern nur ne Zahl
(Wo du nie weißt, ob sie in dieser Straße zickzack sind oder Preußisch-Hufeisen
Muss das Wiederfinden eines Hauses stets Versuch bleiben)

Wo niemand seine Nachbarn kennt, doch jeder seinen Kiez
Wo Feierabend See-Geruch hat und den Klang von Beats
Wo tausend bunter Fäden sich zu einem Strang verweben
Man kann hier gar nicht wohnen.
Man kann hier doch nur leben.

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Spiel, Satz, Sieg Texte

❦ Alinea ❦

Man sagt, ich verübe Anschläge auf Tasten ohne Grund
Doch: Ich nehm kein Aldusblatt vor den Mund
Unterm Strich meiner Feder liest du franca lingua
Und ich schreib sie in Futura anstatt Antiqua

Keine Anomalien, alles in Versalien
Verse selbst in Fußnoten doch niemals Marginalien
Meine Sicht steht schief, wie columnae in Italien
Setz dein erstes A in verzierten Inital’en

Ja, ich kenn dich erst seit Kurzem, wie das Kapital-„ß“
Jetzt kann ich mir nicht mehr vorstellen, was ich tät, wenn ich‘s nicht hätt‘
Wenn deine Majuskel hervorsticht, ist sie meistens ziemlich Fett
Um nicht zu sagen, mehr so Bold, als wärst du Arial in Black
Ja, ich feier dich.
Jede einzel’ne Zeile feierlich
Kalligraphie, und alles fließt, wie im Lauftext
Es ist, als ob man grade erst von Neuem aufwächst

Riechst die feinsten Aromen im Personalpronomen
Neue Zeiten der Romantik, das ist Times New Roman
Ich verlier jede Sperrung, bist du Open Font für mich
Das reduziert die Verzerrung, setzt dich nur gekonnt in Sicht
Du bist völlig justified auch im Block-Satz verziert

Meine Ausrichtung mehr Linksbund, doch passiert auch zentriert
Der Ausschluss tadellos, musst keinen Bleisätzen mehr weichen
Du brauchst kein Uni-Code, schon deine Le(e/h)re ist bezeichnend
Auch ohne Möwchen, Gänsefüßchen, Anführungszeichen
Statt breiten Zitaten könn‘n Gedankenstriche reichen
Wen interessier’n schon Anschlagszahlen ohne Leerz eichen
Das macht dich nicht tiefgestellt, sondern eher unterstrichen
Deine Kunsthandschrift bleibt Unikat und letztlich unverglichen
Und das wirkt wie Comic Sans zwar in der Regel etwas komisch
Doch ein bisschen bist du WingDing, zumindestens symbolisch.

Was für ein Flattersatz.
Beinah schon hart Versatz
Doch gib mir bloß nen neuen Absatz dann kommt grad Ersatz:

Mit keinen Anomalien, alles in Versalien
Verse selbst in Fußnoten doch niemals Marginalien
Meine Sicht steht schief, wie columnae in Italien
Setz dein erstes A in verzierten Inital’en

Wenn unsere Binde-Striche je bedingt sind, wird sich das schon pegeln
Auch im Post-Script kenn ich wirklich sicher alle Trennungs-Regeln
Manchmal lässt sich’s nicht vermeiden, es entsteht halt echt Reibung
Doch ich bin da eher Oldschool-Schüler, alte RechtSchreibung
Also schreib ich uns zusammen, wie mit feinster Ligatur
Begrenz den Moll-Part auf fünf dünne Zeilen, wie bei Partitur

Verweis den Zwiebelfisch wie Calibri von dieser Seite
Hier dominiert der Goldn’e Schnitt in Höhe und in Breite
Lass die Schusterjungen und die Hurenkinder an dem Seitenrand
Du bist automatisch ausgerichtet Dank dem Zeil’n-Abstand
An der Börse wärst du reich, denn du hast tausende Fonts / ich meine Schriften
Doch du bist nicht geizig, kannst die Hälfte davon stiften
Und der Rest ist replizierbar, als TTF-Datei
Aber das Gros der Weltenschriften ist als Open Source dabei
Ich mag fast alle deiner Stile ob straight oder burlesque
Bist zwar auch serifenlos, aber niemals zu Grotesk
Du bist nicht wie Schulschreibschrift, denn du hast noch deine Ecken
Seit ich dich kenn, will ich mich nie mehr an STDs anstecken

Jeder denkt, er würde dich beherrschen, doch hängt an deinem Tropf
Verdrehst du alsbald Typo-Grafen ihren Fliegenkopf
Sprich: ihre Buchstaben. Und hältst ihnen den Buchsatzspiegel vor
Bist den Meisten zwar ein Lehrbuch doch mit sieben Siegeln vor
Will nicht sagen ich alleine könnte deine Schrift entziffern
Aber würde ich’s versuchen, könnt ich deinen Wert beziffern
Bloß ich hatte es noch nie so sehr mit Nummern oder Zahlen
Also werd ich meine Wertschätzung in Alphazeichen malen

Denn: keine Anomalien, alles in Versalien
Verse selbst in Fußnoten doch niemals Marginalien
Meine Sicht steht schief, wie columnae in Italien
Setz dein erstes A in verzierten Inital’en

Ich war schon immer gut mit Texten, hatte jedes Wort zur Wahl
Doch dieser Letter ist wie Schreibmaschine: Nicht-proportional
Und das ist keine Krankheit, die ich letztlich aus-kurier, nur du:
Please don’t love the Message – Love the Courier New

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Fast wahre Großstadtmärchen Texte

Online-Architektin

Das ist Lea; neun Jahre, braunes Haar und kluger Blick
Schnelle Auffassungsgabe, und quer Lesen ist ihr Trick
Dass die andr’en ständig quatschen, nervt sie, und versteht sie kaum:
Sie könnt‘ stundenlang nur zuhör’n, gibt man ihr nen ruhigen Raum
Sie liest Bücher, wo die Lösungen erst weit hinten versteckt sind’
Sie mag Häuser und Computer – wird mal Online-Architektin

Denn die Schule gibt ihr alles, was das Lernen ihr erleichtert
Auditiv und visuell, wie nicht jeder das vielleicht hat
Ob Mathe, Physik, Deutsch, sie spielt darauf wie Partitur-
Schreibt Jahre später letztlich auch ein 14-Punkte-Abitur
Nur Englisch und Musik sind ihre großen beiden Schwächen
Doch dank Nachhilfe und Internet kann sie auch die noch brechen
Stipendium fürs Studium, sie weiß ja, wie das geht
Hörsaal so wie Klassenzimmer, wenn man nur den Prof versteht.
Geschickt und kann gut rechnen, und natürlich auch gescheit
Das ist Lea, zwanzig Jahre, und der Zukunft wohlgeneigt

Drei Kilometer entfernt:

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Fabeln vergangener Kalenderblätter Texte

Vogeldung & Asthma

Es gab mal eine Insel, Kleinste Republik der Erde,
irgendwo hinter Australien im stillen Ozean
Und es gab mal einen Mann mit dem Namen August Stauch
der war beschäftigt bei der Thüringischen Bahn
Die Insel gibt’s auch heute noch, heisst weiterhin Nauru
und sie lebte 30 Jahre lang von Kot
Der Eisenbahner August jedoch hatte leider Asthma
ist seit 1947 tot
Auf Nauru hat man lang für Kolonialherren gearbeitet
und August für die Thüringische Bahn
Ist im Endeffekt das gleiche, Geld verdienen tuste wenig
und die Tätigkeit ist meistens ziemlich lahm
Doch der August hört nicht auf von seinem Asthma nur zu klagen
und wurd darum nach Deutsch Afrika versetzt
Und Nauru wollte auch mal Unabhängigkeiten haben,
Großbritannien war da schon eher entsetzt
Bloß ob das Asthma oder Bürgerkrieg im Endeffekt wohl schlimmer ist,
das lässt sich meistens wirklich nicht recht sagen
Irgendwie wurden sie beide schwer verletzt.
Doch schau, der Goldstreifen am Horizont der Isolation
Wartet auf die beiden Abkömmlinge der Reichtum von Nation’
August Stauch strauchte durch strauchlose Dünen
Kehrte Sand von den Gleisen, dass ihm bald zum Weinen war
Als er plötzlich filmreif wie auf Bühnen

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Naive Metapoesien der Einsamkeit Texte

Zwischen Ruinen

Ich finde das schön. Ich mag die Ruinen.
Verfallene Mauern, überwachsene Schienen
Bröckelnder Putz und knarzende Dielen
Kaputtes Gebäude, nur eines von vielen
Ich finde das schön. 
Komme ich in neue Städte, meide ich die Shopping-Meilen
Will nicht eine Minute in Palästen verweilen
Ich flüchte den Neubauten und schicken Cafés
Den Glanz-Opernhäusern und den Chansonniers
Ich suche den Dreck und vom Alter Zerstörtes
Ich lausch‘ dem Verfall und entdeck Unerhörtes
Häuser, wo Gespenster waren
Abblätternde Fensterrahmen
Wo der Staub unter den Sohlen klebt und Ratten ihr Revier markiern
Wo Spinnen Backsteinecken nur noch nach ihrer Manier verziern
Verführerischer Mangel, dank Schutt auf dem Boden
Türen ohne Angel schon kaputt und verzogen
Abgestürzte Kronleuchter, die längst nicht mehr halten
Eingefall’ne Decken unter morschen Dachbalken
Dort eine Glühbirne, kalt und zerbrochen